Eigentlich wollte ich die Frage nach der Abwägung von Datenschutz und Verbrechensbekämpfung mal zur Abwechslung in einem echten und richtigen Politikforum aufwerfen. Google stellt an die Spitze: http://politik-forum.eu. Ich schaue in dieses Forum einfach mal rein. Ein Politikwissenschaft-Promotionsstudent, vielleicht ist er auch aus der Abteilung Wahrnehmungspsychologie > Personenwahrnehmung, vielleicht aus Russland, jedenfalls heißt er oder nennt er sich: Igor Ivanov, fragt höflich an:
"Sehr geehrte Forenmitglieder, | ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mannheim und führe im Rahmen meiner Promotion im Themenbereich „politische Wahrnehmung“ eine Online-Untersuchung durch. | Bei dieser geht es darum, wie Personen auf Grundlage ihrer Portraits eingeschätzt werden und ob dies Relevanz für politische Entscheidungen hat."
Es führt die Sache noch weiter aus. Verspricht die Verlosung von 1 x 10 Euro unter den Teilnehmern der Umfrage (was natürlich etwas an der Ernsthaftigkeit der Sache zweifeln lässt).
Ja, und dann bricht ein kleiner Besserwissi-Sturm über Igor herein.
Kurz und knapp und ohne Anrede fragt ein User aus Franken mit dem schönen Namen New Model Army:
"Wie soll hier Repräsentativität gewährleistet werden?"
Punkt. Aus.
Man hört als Echo: 'Antworten Sie gefälligst, Sie Wicht, Sie russischer! Wohl noch nie von deutschen sozialwissenschaftlichen Standards gehört, he?!'
Igor, weiter sehr höflich, antwortet:
"Eine berechtigte Frage! Durch eine möglichst große Stichprobe und die Veröffentlichung über mehrere Kanäle. Leider jedoch stehen mir nicht die selben Mittel zur Verfügung, wie großen Meinungsforschungsinstituten."
Der User Dampflok94 aus Berlin, der -- ich staune! -- 5.645 Beiträge bisher in diesem Forum verfasst hat, meint, ebenfalls recht knapp:
"Sorry, aber auf Grund eines Fotos die Aufrichtigkeit eines Menschen zu bemessen ist mir nicht möglich. Ich gehöre da offensichtlich nicht zur Zielgruppe der Umfrage."
Wenn er nicht 'zur Zielgruppe' gehört, dann hätte er auch einfach die Finger von der Tastatur lassen können, der User.
User Fadamo, der unter jeden seiner Beiträge die überaus tiefsinnige Bemerkung setzt: "Politik ist wie eine Hure, die kann man nehmen wie man will." sagt zur Sache:
"Das sind ja alles unbekannte personen. Sind das überhaupt politnix?" [Ok, das letzte Fragezeichen ist von mir.]
Wieder User New Model Army:
"Ich wage zu bezweifeln, dass du wissenschaftlicher Mitarbeiter bist. Als Professor würde ich das Ergebnis einer Umfrage hier nicht annehmen. man sollte die Qualität, die Geduld und die Integrität der User hier nicht überschätzen. Es ist mehr als unüblich und methodisch äußerst bequem und zweifelhaft, so vorzugehen."
Das mit dem forenüblichen Duzen hat schon was Rotziges, finde ich. Einfach so fremde Leute anzufahren und zu schurigeln? Das mit dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter hätte NMA leicht überprüfen können, indem er zwei-, dreimal mal klickt. Dann hätte er den Herrn Ivanov gesehen.
Das nun Folgende ist ein wenig geheimnisvoll.
"... würde ich das Ergebnis einer Umfrage hier nicht annehmen"?
Ist NMA denn Professor? Und wenn nicht, hat er NMA von sozialwissenschaftlichem Arbeiten irgendeine Ahnung? Oder ist es doch wieder so, dass eingängige Schlagworte wie (nicht) repräsentativ über die Zeitungen in die Gehirne der Bevölkerung gleiten und sich dort -- als Mem sagen wir mal -- jenseits aller Vernunft verselbständigen [sic]? Und das mit der "Umfrage hier" soll wohl heißen, dass das Forum bzw. die, die hier schreiben, nichts Sinnvolles von sich geben? Will er das Forum wirklich herabwürdigen? Schließlich auch noch: "die Geduld und die Integrität der User hier nicht überschätzen". Weiß NMA wirklich was Integrität bedeutet und wie man dieses Wort verwendet? Oder möchte NMA wirklich sagen: 'Die User hier sind nicht integer, mein Freund!'
Igor bleibt noch immer geduldig: Am 10. Dez 2013, 12:30, schreibt er:
"Danke für deine Rückmeldung. Zumindest deinen Zweifel über meinen Beschäftigigungsstatus kann ich ausräumen, wenn du in das Impressum der Umfrage siehst."
Jetzt sticht den Nutzer Fadama der Hafer und er muss einfach noch mal witzig werden:
"Ich könnte wetten, dass er noch nicht mal igor heißt."
Und lacht über seinen Scherz gleich mal selbst hell auf.
Und so geht es noch ein Weilchen weiter.
Ich beschließe, einem Forum, in dem solche Beiträge einem freundlich fragenden Menschen entgegenspringen, doch lieber nicht beizutreten. Das Niveau ist mir einfach -- zu hoch. Wäre ich beigetreten, ich hätte vielleicht darauf hingewiesen, dass nicht alles, was in den Sozialwissenschaften mit Befragung von Menschen zu tun hat, gleich repräsentativ sein muss. Dass das andere Fallstudie heißt und dass Fallstudien durchaus sinnvoll sein können, beispielsweise um überhaupt eine vernünftige Hypothese zu formulieren, die dann weiter, und am Ende vielleicht sogar mit repräsentataiven Ergebnissen, untersucht werden kann. Ich hätte auch darauf hingewiesen, dass das Setting einer Untersuchung, das "echte PolitikerInnen" verwendet ziemlich sinnlos daherkäme, weil da mit den Bildern zu viele -- nicht nur parteipolitische -- Vorurteile mit aufgerufen werden. Dass Igor das schon richtig angepackt hat. Aber -- ach nein, ich lass es lieber. Nur die Dissertation von Igor, die werde ich mir besorgen, wenn sie fertig ist.
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Ach, und was ist jetzt mit der Frage um die Abwägung von Datenschutz und Verbrechensbekämpfung? Nun, die passt nun nicht mehr recht dazu. Die kommt später einmal.
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Nachtrag (11.01.2014): Das da oben ist wieder einmal ein Beleg dafür, dass die Anonymisierung im Internet eine unheilvolle Sache sein kann: Leute, die erkennbar keine Ahnung haben von Forschung im Allgemeinen wie von empirischer Sozialforschung, bilden eine Peer group aus Anonymussen mit teilweise angeblödeten Tarnnamen, nehmen sich gegenseitig wichtig und glauben, andere runtermachen zu müssen. -- Nur zur Sicherheit: Es gibt durchaus gute Gründe, anonym aufzutreten. Aber wenn der einzige Grund "Ich möchte mich verstecken und dann ungestraft loslabern" ist, dann ist das eben nicht gut.
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Nachtrag (11.01.2014): Das da oben ist wieder einmal ein Beleg dafür, dass die Anonymisierung im Internet eine unheilvolle Sache sein kann: Leute, die erkennbar keine Ahnung haben von Forschung im Allgemeinen wie von empirischer Sozialforschung, bilden eine Peer group aus Anonymussen mit teilweise angeblödeten Tarnnamen, nehmen sich gegenseitig wichtig und glauben, andere runtermachen zu müssen. -- Nur zur Sicherheit: Es gibt durchaus gute Gründe, anonym aufzutreten. Aber wenn der einzige Grund "Ich möchte mich verstecken und dann ungestraft loslabern" ist, dann ist das eben nicht gut.