Dienstag, 4. Februar 2020

Abelards Kastration

Vor ein paar Tagen einen Podcast, ZeitZeichen*, gehört, über Abelard und Heloise. Heute auf einmal die Frage, wie man das mit der Kastration sich vorzustellen hat. Auch hier wird man in den Weiten des Internets schnell fündig.

Warum ist Abelard da nicht verblutet? Antwort: Es gab da Technik und Erfahrungen. Man musste vorher, was man tun würde.

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Das im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendste Ereignis** im Leben des Philosophen war seine gewaltsame Kastration durch Mitglieder der Familie Fulberts. Die Schnittverletzung, die zum Verlust der Testikeln und der Zeugungsfähigkeit führte, hinterließ zwar bei Abaelard ein erhebliches psychisches Trauma, welches erst nach Jahren qualvoller Selbstvorwürfe einigermaßen sublimiert und aufgelöst wurde, stellte per se jedoch nur eine relativ geringfügige Verletzung dar. Den Vorgang der Kastration, die in der bäuerlich geprägten Gesellschaft des Frühmittelalters an Haus- und Nutztieren häufig praktiziert wurde, hat man sich folgendermaßen vorzustellen: Während mindestens zwei Helfer den Körper des sich wehrenden Opfers niederdrückten und festhielten, umschnürte ein weiterer mit einer dünnen und scharf schneidenden Darmsaite oder einem dünnen, reißfesten Zwirn den Hodensack des Betroffenen unter kompletter Drosselung der Blutversorgung ab und durchtrennte anschließend das Organ distal der Ligatur mit einem schnellen Messerschlag. Dabei wurden die Samenleiter - ductus deferentes - und die zu- und abführenden Blutgefässe und Nerven durchtrennt. Wegen der Ringligatur war die offene Wundfläche nur relativ gering. Der Vorgang dauerte nur einige Sekunden und dürfte wegen der durch das Abschnüren eingetretenen Anästhesie nur wenig schmerzhaft gewesen sein. Wegen der Ligatur kam es auch zu keinem nennenswerten Blutverlust. Falls die Wunde per primam intentionem, d.h. steril und ohne Wundinfektion, abheilte, fiel nach einigen Tagen die Ligatur von selbst ab, und es entstand eine trichterförmige, insgesamt nur wenig entstellende Narbe. Der Penis einschließlich der darin liegenden Harnröhre wurde bei dem Eingriff weitgehend verschont, so dass auch künftig die Harnkontinenz und eine ungestörte Miktion gewährleistet waren. Die notwendige Mindestzahl von drei Helfern - zwei haltende und ein schneidender - wird übrigens in einem anonymen Gedicht aus dem Kloster Fleury an der Loire, welches von einem Zeitgenossen Abaelards stammt und sich mit dem Schicksal des Philosophen beschäftigte, ausdrücklich bestätigt: "Drei Schurken haben sich verabredet: Stürzen wir auf den einen, packen wir ihn und schnüren wir ihn mit dem dreifach gekordelten Strick..." Abaelard selbst hat bestätigt, dass ihm nach dem Attentat weniger das Ausmaß der körperlichen Verwundung als die Scham darüber schwer zu schaffen gemacht habe: "Ich litt mehr am Mitleid als an der Wunde, fühlte mehr die Scham als meine Versehrtheit, war mehr bedrückt von der Schande als vom Schmerz..." Selbst die Kastration von Menschen war zur damaligen Zeit durchaus nichts Ungewöhnliches. Offensichtlich kam es mitunter nach dem Vorbild von frommen Männern wie Origenes zur Selbstkastration von religiösen Fanatikern. Das kanonische Recht enthielt genaue Regeln, wie mit solchen Personen zu verfahren sei. Die Kastration war auch fester Bestandteil der Sippenrache: Wenn ein Mädchen unehrenhaft entjungfert oder geschwängert worden war, drohte dem Delinquenten seitens der Familie des Mädchens eine entsprechende Strafe nach dem Talionsrecht. Eine derartige Selbstjustiz war in der Krondomäne allerdings weder durch das kanonische, noch durch das weltliche Recht abgedeckt. Deshalb drohte den Tätern in einem solchen Fall eine nicht minder schwere Strafe. Im oben genannten Gedicht aus dem Kloster Fleury ist - als einziger Quelle - auch die Rede davon, dass in Abaelards Heimat Graf Matthias von Nantes, der Sohn Hoëls, des Herzogs der Bretagne, und der jüngere Bruder des Nachfolgers Alain Fergent, vor seinem gewaltsamen Tode um 1103/1104 kastriert worden war.  Im Falle Abaelards wurden zwei der gefassten Täter - einer davon sein verräterischer Diener - geblendet und ebenfalls kastriert. Der dritte konnte entwischen. (abaelard.de)

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Die Stelle ist mit reichlich Fußnoten versehen (die ich hier weggenommen habe). Auch an Bildern fehlt es nicht.

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* Héloïse, Äbtissin (Todesjahr 1164). WDR ZeitZeichen, 26.12.2019 14:53 Min. (Online)

** Und wenn noch eine kleine Stilkritik erlaubt ist: "Das im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendste Ereignis im Leben des Philosophen" -- diese Formulierung ist wirklich nicht gut. Weil ? Nun ja, überexplizit aus Freude an der Darstellung des Selbstverständlichen. Irgend so etwas.

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