Dienstag, 27. Februar 2018

Egon Schiele



Feuilleton der SZ heute

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Ich bin der ganz andere


Dieses Jahr gehört Egon Schiele. Sein 100. Todestag ist Anlass einer Schau im Leopold-Museum in Wien, bei der auch Skizzen und Zeichnungen des früh verstorbenen Genies gezeigt werden, die noch nie zuvor öffentlich zu sehen waren

Von Gottfried Knapp

Ich bin durch Klimt gegangen bis März. Heute glaube ich bin ich der ganz andere.“ Diese kühl resümierenden, das Vorbild präzise benennenden, dann aber selbstbewusst Neues ankündigenden Sätze schrieb der damals gerade zwanzig Jahre alte Maler Egon Schiele im November 1910 in einem Brief an einen Bekannten. Sieht man sich nach Lektüre dieser Sätze an, was der junge Mann, der sich als der „ganz andere“ empfand, in den Wochen nach dem erwähnten Neuanfang an Aufregendem geschaffen hat, dann muss man zu hohen Worten greifen: Selten dürfte ein Künstler über sein eigenes Schaffen Treffenderes gesagt haben.

Zwei Jahre zuvor hatte der von Gustav Klimt, dem vergötterten Großmeister des Wiener Jugendstils, geschätzte und geförderte Kunststudent Egon Schiele noch im dekorativ flächigen Stil seines Vorbilds brilliert. In seinem Blumenbukett von 1908 kontrastieren lappig zerknüllte, violett-blaue Riesenblätter mit fadendünnen Zweigen, an denen orangegelb leuchtende Blüten wie Juwelen hängen. Dieses in jugendstiligen Zwischentönen inszenierte, auffällig flache Kompositionsschauspiel ereignet sich vor einem tapetenartig geschlossenen Hintergrund. Grünliche Silberbronzefarbe verschließt den Blick in die Tiefe, im unteren Drittel aber schiebt sich Goldbronze so hinter die Blumen, dass das Ganze aussieht, als werde das morbide Farben-Gesteck auf einem Altar feierlich zelebriert. Mit diesem Gemälde hat Schiele sich und der Welt gezeigt, dass er Klimt kann, dass er im neuesten Stil malt.

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Egon Schiele: Die Jubiläumsschau. Leopold-Museum Wien. Bis 4. November.

Verlag Süddeutsche Zeitung
Datum Dienstag, den 27. Februar 2018
Seite 9