Freitag, 29. Oktober 2010

Kassel, Beirut

Am Morgen die Feuilleton-Lektüre SZ. Besprechung einer Theater-Inszenierung in Kassel. Wen man doch im Laufe des Lebens zufällig alles so trifft. Ich habe einmal Schirin Khodadian -- stand damals auf der Visitenkarte nicht Shirin? -- getroffen, sogar in einer eher surrealen Szene mit ihr gesprochen habe. (Das mit dem Surrealen lag nicht an Frau K.) Daran erinnere ich mich auf einmal. Die Anmerkungen in der SZ sind nicht sonderlich schmeichelhaft.

"... So ist etwa ihr neues Stück 'Robert Redfords Hände selig', uraufgeführt von Schirin Khodadadian im TIF am Staatstheater Kassel, nicht nur eine deutsche Auswanderer- und Gutmenschen-Groteske, die auf der Folie des Postkolonialismus-Diskurses 'Mutter Afrika' ins Visier nimmt.
...
Jung trifft auf alt, Idealismus auf Zynismus, es geht um Geschlechter- und Weltanschauungsdifferenzen, Gender- und Beziehungsproblematik - all dies in einem schnellen, scharfsinnigen Dialog-Pingpong, dem eine sensiblere Regiehand zu wünschen gewesen wäre als der grobe Zugriff von Schirin Khodadadian. Ihre Inszenierung nervt durch Lautstärke, Geplärre, rabaukigen Humor und ist auch schauspielerisch eher enttäuschend; es fehlt die intellektuelle Schärfe, die Bosheit, das lustvolle Ausreizen der Spitzfindigkeiten."

"Am Tag der Premiere sind wir in Ingolstadt verabredet; es ist ein verregneter Sonntag, aber weder das Wetter noch die bevorstehende Premiere können Schirin Khodadadian die Laune trüben. Nicht nur ihr Name verrät ihre Herkunft, ihre orientalischen Wurzeln sind ihr ins Gesicht geschrieben. Es kommt einem unwillkürlich die Poesie des West-Östliche Diwans in den Sinn. Und es ist sicher nicht abwegig, in ihren Wurzeln auch eine der Quellen für ihre szenische Phantasie, die alle ihre Inszenierungen auszeichnet, zu sehen. Aber geboren ist sie in Deutschland; als Tochter eines iranischen Textilchemikers und einer Grundschullehrerin wuchs sie in der Nähe von Münster auf. Hier studierte sie, schrieb ihre Examensarbeit über das dramatische Werk von Yasmina Reza, hospitierte am Städtischen Theater, wagte ihre ersten Schritte als Schauspielerin und als Regisseurin in den neunziger Jahren in der freien Szene. Sie hat nach dem Studium ihr Regiehandwerk in praktischer Arbeit da gelernt, wo man sich um alles selbst kümmern muss. Bevor sich mehr und mehr an den Hochschulen die Regieklassen etablierten und die Theater von dort ihren Nachwuchs beziehen, ist ja dieser praktische Weg vom Regieassistenten zum Regisseur etwas aus dem Blick geraten. Aber Schirin Khodadadian ging diese Ochsentour, brach nach Berlin auf, assistierte am Berliner Maxim Gorki Theater u.a. bei Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung von “Berlin Alexanderplatz”, landete schließlich am Theater Erfurt, das inzwischen aber keine Schauspielsparte mehr hat. Aber als der damalige Oberspielleiter Peter Rein als Intendant nach Ingolstadt ging, nahm er Schirin Khodadadian mit."

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr. 251, Freitag, den 29. Oktober 2010, Seite 12

So spielt das Leben. Man wird mitgenommen, und dann geht es weiter.

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Und neben der Theaterkritik ein Artikel über Beirut und den seltsamen Wiederaufbau:

"Theoretisch sind die alten Häuser geschützt, doch Verbote sind leicht zu umgehen. Eine Baugenehmigung lässt sich durch Säure ersetzen. Skrupellose Besitzer schütten sie an die Grundmauern, bis das Haus von selber einstürzt. An Straßen, die bloß wenige Meter breit sind, entstehen Türme mit bis zu sechzig Stockwerken. Die Abwässer ihrer 300-Quadratmeter-Wohnungen fließen in ein Kanalsystem aus dem 19. Jahrhundert."

Und ich kenne auch jemand, der aus Beirut kommt. Weltwirtschaft eben.

Kassel - Beirut. Als ich vor vielen Jahren zum ersten Mal den Filmtitel PARIS, TEXAS hörte, da habe ich gedacht, es geht um jemanden, der von Paris (Frankreich) nach Texas (USA) umzieht. Aber weit gefehlt. Natürlich weit,weit gefehlt. Es geht um Paris (Texas, USA).

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