Freitag, 11. Mai 2018

Wenn man in Sodom lebt ...

... ist das Lästern über die Zustände in Gomorra nur noch ein schaler Witz.

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Sex im Präsiden­tenbüro Macht Unterricht mit Pornos, Affären mit Studenten, mutmaßlich Vergewaltigungen. Das Gebaren zweier Professoren der Münchner Musikhochschule sprengte viele Grenzen. Mu­sik­hoch­schu­le in Mün­chen: »So­dom und Go­mor­rha« Der 23-jäh­ri­ge Kom­po­si­ti­ons­stu­dent der Hoch­schu­le für Mu­sik und Thea­ter Mün­chen fand es nicht un­ge­wöhn­lich, dass der Un­ter­richt im Schlaf­zim­mer sei­nes Pro­fes­sors statt­fand. Er wun­der­te sich auch nicht, dass zu Be­ginn der Ein­zel­stun­de ein Por­no lief. Nichts Neu­es, er kann­te das schon. || Er er­in­ner­te sich an die Wor­te des Pro­fes­sors, man kön­ne im Ver­hal­ten der Dar­stel­ler viel über die Oper ler­nen. Un­ge­wöhn­lich war dies­mal, dass die Freun­din des Pro­fes­sors auf­tauch­te, ihr Kleid ab­streif­te, dem Stu­den­ten die Hose auf­knöpf­te und ihn oral sti­mu­lier­te. Wäh­rend­des­sen saß der Pro­fes­sor am Schreib­tisch und kom­po­nier­te eine Oper. Mit Tex­ten von Franz Kaf­ka. Er habe sich un­wohl ge­fühlt, wird der Stu­dent 14 Jah­re spä­ter der Po­li­zei sa­gen. Die Por­no­fil­me habe er als wi­der­lich emp­fun­den, aber er habe sich nicht ge­wehrt, aus Angst, der Pro­fes­sor wer­de sei­ne Zu­kunft zer­stö­ren. Er wird von ei­nem Ner­ven­zu­sam­men­bruch be­rich­ten, von Alb­träu­men, Schuld­ge­füh­len und ei­nem Se­xu­al­le­ben, das ab die­sem Vor­fall von Ag­gres­si­vi­tät ge­prägt ge­we­sen sei. Der Stu­dent hat­te Spaß, wird die da­ma­li­ge Freun­din und heu­ti­ge Frau des Pro­fes­sors sa­gen, er sei der For­dern­de ge­we­sen. Er sei bei ih­nen ein- und aus­ge­gan­gen und habe ge­wusst, welch frei­zü­gi­ges Le­ben sie führ­ten. Er habe je­der­zeit ge­hen kön­nen, er sei ein er­wach­se­ner Mann ge­we­sen. Der Pro­fes­sor, Hans-Jür­gen von Bose, wird sa­gen, sich kei­ner Schuld be­wusst zu sein. Als Char­lot­te Wei­den­fels(*) an ei­nem Tag im Sep­tem­ber 2004 von Bam­berg nach Mün­chen fuhr, woll­te sie ei­nen Job. Die al­lein­er­zie­hen­de Mut­ter zwei­er Kin­der hat­te sich als As­sis­ten­tin ei­ner Re­fe­ren­tin an der Hoch­schu­le be­wor­ben. Die­se bat sie nach dem Vor­stel­lungs­ge­spräch, um 17 Uhr noch­mals zu er­schei­nen, um mit dem Prä­si­den­ten Sieg­fried Mau­ser zu spre­chen. Als sie dann durch die Hoch­schu­le lief, fand sie die Gän­ge still und ver­las­sen vor, das Se­mes­ter hat­te noch nicht be­gon­nen. Die Dop­pel­tür zum Prä­si­den­ten­zim­mer blieb ihr in Er­in­ne­rung, weil sie ge­pols­tert war, so­dass Ge­räu­sche nicht nach au­ßen dran­gen. Die Be­grü­ßung war freund­lich, ein Jahr zu­vor hat­te sie am Ran­de ei­nes Kon­zerts ein paar Wor­te mit Mau­ser ge­wech­selt. Dann küss­te der Prä­si­dent die Frau un­ver­mit­telt auf den Mund. Für ihn sei es ech­te Zu­nei­gung ge­we­sen, wird er spä­ter sa­gen, als er dem Ge­richt zu er­klä­ren ver­sucht, war­um er nicht von ihr ab­ließ, ob­wohl die Frau nach ih­ren Aus­sa­gen den Kuss nicht er­wi­der­te. Als Mau­ser anal in sie ein­drang, will er Lust­schreie ge­hört ha­ben. Die Frau sagt, es sei­en Äuße­run­gen von Schmerz und Angst ge­we­sen. Schließ­lich mach­te sich der Hoch­schul­pro­fes­sor die Hose zu: »Jetzt ist das Sofa ein­ge­weiht.« Der Sex sei ein­ver­nehm­lich ge­we­sen, wird er spä­ter sa­gen. Die Frau wol­le sich an ihm rä­chen, er sei sich kei­ner Schuld be­wusst. Über Schuld und Stra­fe der bei­den Pro­fes­so­ren ent­schei­den die Ge­rich­te. Sieg­fried Mau­ser ist vor dem Land­ge­richt Mün­chen an­ge­klagt, es ist sein zwei­ter Pro­zess. Er wur­de be­reits we­gen se­xu­el­ler Nö­ti­gung zu ei­ner neun­mo­na­ti­gen Be­wäh­rungs­stra­fe ver­ur­teilt. Das Ur­teil ist nicht rechts­kräf­tig. Nun geht es um den Ver­dacht der Ver­ge­wal­ti­gung der Be­wer­be­rin und der se­xu­el­len Nö­ti­gung ei­ner Sän­ge­rin. Sieht das Ge­richt die Ta­ten als er­wie­sen an, muss der lang­jäh­ri­ge Prä­si­dent ver­mut­lich ins Ge­fäng­nis. Zu­dem hat er dienst­recht­li­che Ver­fah­ren zu be­fürch­ten. Hans-Jür­gen von Bose wur­de im Juli 2016 von der Staats­an­walt­schaft Mün­chen I an­ge­klagt. Am stärks­ten wiegt der Vor­wurf, dass er zwi­schen 2006 und 2007 die Schwes­ter ei­nes sei­ner Stu­den­ten mehr­fach ver­ge­wal­tigt ha­ben soll, was er ve­he­ment be­strei­tet. Nach fast zwei Jah­ren hat das Land­ge­richt Mün­chen noch im­mer nicht ent­schie­den, ob es das Ver­fah­ren ge­gen ihn er­öff­nen wird. Die ju­ris­ti­sche Be­wer­tung ein­zel­ner Ta­ten, so sie denn statt­ge­fun­den ha­ben, ist das eine. Das an­de­re ist das Um­feld, in dem die­se Vor­wür­fe er­ho­ben wer­den und das se­xu­el­le Überg­rif­fe er­heb­lich er­leich­tert. In ei­ner Mu­sik­hoch­schu­le ist die Ab­hän­gig­keit der Stu­den­ten von ih­ren Leh­rern be­son­ders groß. Der Pro­fes­sor ent­schei­det maß­geb­lich mit, ob es mit der künst­le­ri­schen Kar­rie­re et­was wird oder nicht. Man be­sucht ge­mein­sam Kon­zer­te, un­ter­nimmt Rei­sen. Im Un­ter­richt kom­men Stu­dent und Pro­fes­sor ein­an­der oft sehr nahe, beim ge­mein­sa­men Üben am In­stru­ment, beim Trai­nie­ren der rich­ti­gen Kör­per­hal­tung und At­mung. Sich da­bei an­zu­fas­sen ist nor­mal. Der Schritt, die Nähe und die Ab­hän­gig­keit zu miss­brau­chen, ist nicht groß. Noch dazu, da der Un­ter­richt oft in klei­nem Kreis statt­fin­det: nur Leh­rer und Schü­ler, meist bei ge­schlos­se­ner Tür. Eine At­mo­sphä­re, die in Mün­chen zu ei­nem Zu­stand führ­te, den ein Ver­tei­di­ger im ers­ten Mau­ser-Pro­zess als »So­dom und Go­mor­rha« be­schrieb. Der Professor habe den Studenten aufgefordert, »das wilde Tier« in sich herauszulassen. Eine in­ter­ne Er­he­bung, die dem SPIEGEL vor­liegt, er­fasst die Aus­sa­gen von rund 800 Hoch­schul­an­ge­hö­ri­gen. 115 ha­ben wäh­rend ih­rer Zeit an der Münch­ner Mu­sik­hoch­schu­le »an­züg­li­che Be­mer­kun­gen« ge­hört, 56 »an­züg­li­che Ges­ten« wahr­ge­nom­men, 34 mel­de­ten, »an­ge­grapscht oder ab­sicht­lich be­rührt« wor­den zu sein. 9 Be­frag­te be­rich­te­ten, ih­nen sei­en Ge­ni­ta­li­en ge­zeigt wor­den. 8 sag­ten aus, zu se­xu­el­len Hand­lun­gen ge­zwun­gen wor­den zu sein. 7 wur­den dem­nach von ih­rem Ge­gen­über Nach­tei­le an­ge­droht, weil sie ei­nen An­nä­he­rungs­ver­such ab­ge­lehnt hat­ten. Auch eine Ver­ge­wal­ti­gung wur­de ge­mel­det. Die Hoch­schu­le hat die Er­geb­nis­se der Um­fra­ge bis­lang nicht ver­öf­fent­licht. Ein Ge­spräch mit dem SPIEGEL zu den Vor­fäl­len lehn­te das Prä­si­di­um ab. Auch schrift­li­che Fra­gen – etwa, wie die #Me­Too­De­bat­te in­ner­halb der Hoch­schul­lei­tung ge­führt wer­de – be­ant­wor­te­te sie nicht. Ei­ni­ge der Fra­gen hät­ten un­wah­re Be­haup­tun­gen ent­hal­ten, hieß es zur Be­grün­dung. Doch nicht alle Hoch­schul­an­ge­hö­ri­gen sind so ver­schlos­sen. »Es kann nicht sein, dass un­se­re Stu­den­tin­nen und Stu­den­ten mit ih­rem Pro­fes­sor schla­fen müs­sen, um Er­folg in ih­rem Be­ruf zu ha­ben«, sagt der Pia­nist Mo­ritz Eg­gert, 52. Er lehrt Kom­po­si­ti­on an der Hoch­schu­le und be­gann vor Jah­ren, die Vor­wür­fe ge­gen sei­ne Kol­le­gen zu the­ma­ti­sie­ren. Als Zeu­ge vor Ge­richt sag­te er ge­gen sei­nen ehe­ma­li­gen Vor­ge­setz­ten aus und mach­te sich da­mit vie­le Fein­de. Ei­ner die­ser Fein­de sitzt in ei­nem Rei­hen­haus in Zorne­ding, gut 20 Ki­lo­me­ter von der Münch­ner Stadt­mit­te ent­fernt, zieht an ei­ner fil­ter­lo­sen Zi­ga­ret­te und re­det of­fen über all die Vor­wür­fe ge­gen ihn. Hans-Jür­gen von Bose war ein Shoo­ting­star in der Kom­po­nis­ten­sze­ne. Sei­ne Oper »Schlacht­hof 5«, 1996 am Münch­ner Na­tio­nal­thea­ter ur­auf­ge­führt, po­la­ri­sier­te, die mu­si­ka­li­sche In­sze­nie­rung wur­de ge­fei­ert. »Das könn­te sie sein: die Oper der Zu­kunft«, schrieb der Re­zen­sent des SPIEGEL. Dann, sagt Bose, hät­ten die Kri­ti­ker da­mit be­gon­nen, ihn zu ver­nich­ten. Er sei mit sei­ner kon­ser­va­ti­ven Hal­tung an­ge­eckt. Er sei ge­mobbt wor­den und er­krankt. Der da­ma­li­ge Prä­si­dent, Sieg­fried Mau­ser, er­laub­te dem Do­zen­ten aus­nahms­wei­se, ein­zel­ne Stu­den­ten zu Hau­se zu un­ter­rich­ten. Im­mer wie­der muss­te Bose den Un­ter­richt ab­sa­gen und war für man­che Stu­den­ten lan­ge nicht er­reich­bar. Bei der Hoch­schul­lei­tung gin­gen Be­schwer­den ein. Im De­zem­ber 2007 wur­de der Kom­po­nist als dienst­un­fä­hig in den Ru­he­stand ver­setzt, vier Jah­re spä­ter be­an­trag­te er die Wie­der­ein­stel­lung. Sie wur­de ihm zum Ok­to­ber 2012 ge­neh­migt, nach­dem er ein amts­ärzt­li­ches At­test be­kom­men hat­te. Da die Po­li­zei nun ge­gen ihn er­mit­telt, ist er vom Dienst vor­läu­fig frei­ge­stellt. Er be­zieht Ge­halt, freie Auf­trä­ge be­kom­me er aber nicht mehr. Er be­klagt eine »mas­si­ve Zer­stö­rung« sei­nes Na­mens. Als er 2008 ein Kla­vier­kon­zert sei­nes Freun­des Sieg­fried Mau­ser be­such­te, hat­te je­mand eine To­des­an­zei­ge mit sei­nem Na­men im Pro­gramm­heft plat­ziert. Bose macht Men­schen wie Mo­ritz Eg­gert für sei­ne Kri­se ver­ant­wort­lich. Sie hät­ten es auf sei­ne Stel­le ab­ge­se­hen. Sie wür­den sei­ne Art des Um­gangs mit an­de­ren nicht ak­zep­tie­ren, sei­nen kleist­schen Le­bens­stil, wie er ihn nennt. In die­sem Le­bens­stil ver­mi­schen sich Leh­re und Pri­va­tes, Gren­zen gibt es in die­sem Kon­zept kei­ne mehr, auch kei­ne Dis­tanz. Für ihn sei Kom­po­nie­ren eine pri­va­te und in­ti­me An­ge­le­gen­heit, des­halb habe er auch mit sei­nen Stu­den­ten über Pri­va­tes und In­ti­mes ge­spro­chen. Wer ihm zu »starr und vier­eckig« vor­kam, dem brach­te er die Kul­tur­ge­schich­te des Por­nos nahe, weil er dar­in Par­al­le­len zur Mu­sik­ge­schich­te sah. Er war als Leh­rer mit die­ser ta­bu­lo­sen Of­fen­heit und sei­ner Streit­lust auch be­liebt. 21 Stu­den­ten pro­tes­tier­ten im März 2015 mit ei­ner Pe­ti­ti­on da­ge­gen, dass er nicht wie­der die Ge­neh­mi­gung er­hielt, zu Hau­se zu un­ter­rich­ten. An­ge­klag­ter Mau­ser Kei­ner Schuld be­wusst Bose sagt, er sei stän­dig auf der Su­che nach ei­nem Kick, beim Au­to­fah­ren und auch im Bett. Er be­rich­tet von ei­nem se­xu­el­len Er­leb­nis mit ei­nem 20-Jäh­ri­gen, den er aus ei­ner Mu­sik­aka­de­mie kann­te. Der jun­ge Mu­si­ker wur­de sein Stu­dent. Es müs­se 1988 oder 1989 ge­we­sen sein, als der jun­ge Mann nach ei­nem Kon­zert in Mün­chen bei ihm über­nach­tet habe. Es kam zu ei­ner ana­len Pe­ne­tra­ti­on, wie es in den Be­rich­ten der Po­li­zei spä­ter heißt. Bose sagt, er habe das »psy­chisch wie phy­sisch ex­trem vor­sich­tig voll­zo­gen«. Er habe das Ge­fühl ge­habt, für den Stu­den­ten sei es wich­tig ge­we­sen, die­se Er­fah­rung zu ma­chen. Es blieb bei ei­nem Mal. Der da­ma­li­ge Stu­dent sagt, auch wenn kei­ne Ge­walt im Spiel ge­we­sen sei, sehe er den Akt heu­te als eine Art Miss­brauch an. »Herr von Bose hat mei­ne da­ma­li­ge Si­tua­ti­on wohl für sei­ne Zwe­cke aus­ge­nutzt.« Bis heu­te fühlt Bose sich un­schul­dig. Der Staat aber schick­te ein Son­der­ein­satz­kom­man­do zu ihm. Es ging um die mut­maß­li­chen Ver­ge­wal­ti­gun­gen der Schwes­ter sei­nes Stu­den­ten. 28. April 2015, 6.40 Uhr mor­gens: Im Flut­licht bra­chen schwer be­waff­ne­te Män­ner die Tür zum Gar­ten auf. Eine da­mals 23-jäh­ri­ge Stu­den­tin wohn­te im Haus des Pro­fes­sors, in ei­nem Zim­mer im Kel­ler. Die Po­li­zis­ten hät­ten sie hart ge­gen ein Kla­vier, dann auf den Bo­den ge­drückt, er­zählt Ir­va­na Po­powa(*). Ta­ge­lang habe sie die Hä­ma­to­me ge­spürt. Der zweit­jüngs­te Sohn des Pro­fes­sors sagt, er habe ein Trau­ma er­lit­ten und sei nach dem Ein­satz ein Jahr lang nicht zur Schu­le ge­gan­gen. Als die Po­li­zis­ten das Haus durch­such­ten, fan­den sie il­le­ga­le Sub­stan­zen. »Müll­tü­ten­wei­se« hät­ten sie Me­di­ka­men­te und Dro­gen aus dem Haus ge­tra­gen, wird der er­mit­teln­de Staats­an­walt spä­ter sa­gen. Dar­un­ter wa­ren 5,1 Gramm ei­nes Ko­ka­in­ge­mischs. Hans-Jür­gen von Bose sagt, die Rausch­mit­tel hät­ten ihm beim Kom­po­nie­ren ge­hol­fen. Und, of­fen wie er sei, habe er sei­nen Stu­den­ten von die­sen Dro­gen­er­fah­run­gen er­zählt. Er ver­weist auf gro­ße Schrift­stel­ler, Gott­fried Benn, Al­dous Hux­ley, die nur un­ter Dro­gen Ge­nia­les voll­bracht hät­ten. Auch Me­di­ka­men­te habe er in gro­ßen Men­gen kon­su­miert, um die Schmer­zen nach ei­nem vier­fa­chen Band­schei­ben­vor­fall zu lin­dern. 400 Trop­fen des Schmerz­mit­tels Va­lo­ron habe er am Tag ge­schluckt, emp­foh­len sind höchs­tens 240. Als sich die jun­ge Rus­sin Ir­va­na Po­powa an der Mu­sik­hoch­schu­le vor­ge­stellt hat­te, hat­te sie auf die Pro­fes­so­ren keck, aber auch zer­brech­lich ge­wirkt. Das könn­te er­klä­ren, war­um sie nicht der Klas­se von Hans-Jür­gen von Bose zu­ge­teilt wur­de. Die Frau­en­be­auf­trag­te kann­te Ge­rüch­te, dass man auf­pas­sen sol­le. Wenn das der Ver­such war, die jun­ge Frau und den Pro­fes­sor von­ein­an­der fern­zu­hal­ten, muss er als ge­schei­tert be­zeich­net wer­den. Im Hoch­schul­wohn­heim ver­such­te sie, An­schluss zu fin­den, der Kum­mer über den Tod ih­rer Schwes­ter nag­te schwer. Das Geld fehl­te, um zum Be­gräb­nis zu rei­sen. Die Zeit dräng­te, um ei­nen Kom­po­si­ti­ons­auf­trag ab­zu­schlie­ßen. Sie ver­trau­te sich Pro­fes­sor Bose an. Er war fas­zi­niert von ihr und lud sie nach Hau­se ein. Der Pro­zess von der ers­ten Über­nach­tung, weil die letz­te S-Bahn weg war, bis zu ers­ten flüch­ti­gen Be­rüh­run­gen war flie­ßend. Im De­zem­ber 2013 wur­den der Pro­fes­sor und sei­ne Stu­den­tin ein Paar, Jah­re spä­ter so­gar El­tern ei­nes Sohns. Die zwei leb­ten ge­mein­sam mit Bo­ses Ehe­frau und den Kin­dern zu­sam­men. Ir­ri­tie­rend ist ein Stun­den­plan, den die Po­li­zei bei der Haus­durch­su­chung fand: Die Stu­den­tin hat­te no­tiert, wie oft und wann sie etwa mit ih­rem Pro­fes­sor in der Wo­che Sex ha­ben soll­te und wann an­de­re Se­xu­al­part­ner da­zu­kom­men wür­den. Da­ne­ben wa­ren die Stun­den für die Haus­ar­beit no­tiert und die für das Kom­po­nie­ren. Pro­fes­sor Bose »Von mei­nen Kri­ti­kern ver­nich­tet« Do­zen­ten der Hoch­schu­le mach­ten sich Sor­gen, dass der Pro­fes­sor sei­ne Stu­den­tin ge­fü­gig ge­macht ha­ben könn­te. Ihre Kom­mi­li­to­nen wol­len be­merkt ha­ben, wie Po­powa dün­ner und blass wur­de. Die Uni­ver­si­tät be­such­te sie im­mer sel­te­ner. Im In­ter­net fan­den sich An­zei­gen: Sex für 200 Euro die Stun­de. Das Geld spar­te sie und un­ter­stütz­te da­mit ihre Fa­mi­lie. Ir­va­na Po­powa re­det un­gern dar­über. Sie sagt, dass sie nicht mehr kom­po­nie­re, und be­grün­det es mit der an­ge­spann­ten Si­tua­ti­on nach dem Po­li­zei­ein­satz und dem Klei­nen, der ihre Auf­merk­sam­keit for­de­re. Im ver­gan­ge­nen No­vem­ber al­ler­dings hielt sie es nicht mehr aus. Sie buch­te für den fol­gen­den Tag ein Ti­cket ohne Rück­flug nach Sankt Pe­ters­burg zu ih­ren El­tern, den Klei­nen nahm sie mit. Erst sechs Wo­chen spä­ter kehr­te Po­powa zu­rück. Sie sagt, sie kön­ne es sich nicht er­klä­ren, war­um sie ab­ge­hau­en sei. »Ein Kurz­schluss.« Das al­les ist nicht an­ge­klagt, das al­les ist er­laubt. Aber es ist be­deut­sam, um das Um­feld zu ver­ste­hen, in dem eine an­de­re Frau schwer­wie­gen­de Vor­wür­fe ge­gen den Hoch­schul­pro­fes­sor er­hebt, eine 34-jäh­ri­ge Aka­de­mi­ke­rin. Sie sagt laut An­kla­ge­schrift, Hans-Jür­gen von Bose habe sie wäh­rend ih­rer mehr­mo­na­ti­gen Be­zie­hung drei­mal ver­ge­wal­tigt. Er habe sei­ne Po­si­ti­on als Pro­fes­sor aus­ge­nutzt, um sie un­ter Druck zu set­zen. Ley­la Ab­as­si(*) lern­te den Pro­fes­sor über ih­ren Bru­der ken­nen, der bei ihm stu­dier­te. Sie war 22 Jah­re alt, er 53. Sie war be­ein­druckt von sei­ner »Un­bor­niert­heit und Le­ben­dig­keit«, er von ih­rer »ori­en­ta­li­schen Schön­heit«. Mit sei­nen Mo­no­lo­gen zog er sie in sei­nen Bann. Ging es an­fangs noch um The­men der Kunst und Mu­sik, sprach der Pro­fes­sor ir­gend­wann von sei­nen se­xu­el­len Be­dürf­nis­sen. Sie über­nach­te­te in sei­ner Woh­nung, sie ka­men sich auch se­xu­ell nä­her. Im Nach­hin­ein kann man schwer sa­gen, wer den Im­puls zu se­xu­el­len Ex­pe­ri­men­ten gab. Die bei­den be­such­ten nun re­gel­mä­ßig Swin­ger­klubs, manch­mal ka­men an­de­re Män­ner nach Hau­se. Es war sein Wunsch, ihr beim Sex mit ih­nen zu­zu­se­hen. Bose habe sich ir­gend­wann nicht mehr an­ge­strengt, sei­ne Ag­gres­sio­nen und Per­ver­sio­nen zu kon­trol­lie­ren, sag­te Ab­as­si der er­mit­teln­den Be­am­tin. Bose sagt, sei­ne Ge­lieb­te habe sicht­lich Ver­gnü­gen beim Sex mit an­de­ren Män­nern ge­habt. Hin­ter­her habe sie das nicht ein­ge­stan­den, »da war ich rich­tig böse«. Da sei mal ein Aschen­be­cher ge­flo­gen, da habe er viel­leicht den Satz ge­sagt, den Ley­la Ab­as­si in ih­rer Ver­neh­mung zi­tier­te: Er brau­che nur hin­zu­lan­gen, dann kle­be ihr Ge­hirn schon an der Wand. Er sei ein Cho­le­ri­ker, ernst mei­ne er das nicht. In nüch­ter­nen Wor­ten be­schreibt Ab­as­si acht Jah­re spä­ter der Po­li­zei, wie Bose drei­mal in sie ein­ge­drun­gen sei, ohne dass sie es ge­wollt habe. Manch­mal sei sie apa­thisch ge­we­sen, de­hy­driert und aus­ge­hun­gert. Sie habe ge­weint, etwa wenn sie von der Flucht aus ih­rer Hei­mat im Na­hen Os­ten er­zähl­te. Die­se Mo­men­te to­ta­ler Er­schöp­fung habe Bose aus­ge­nutzt. An die Wein­krämp­fe kön­ne er sich zwar er­in­nern, sagt Bose. Aus ei­ner trös­ten­den Um­ar­mung sei dann aber ein­ver­nehm­li­cher Sex ge­wor­den. Ley­la habe je­der­zeit ge­hen kön­nen, eine Flucht­tür zur Feu­er­trep­pe sei gleich ne­ben dem Schlaf­zim­mer ge­we­sen. »Die Vor­wür­fe sind ab­surd.« Die Staats­an­walt­schaft Mün­chen sieht sich nach in­ten­si­ven Er­mitt­lun­gen in ih­rer Ein­schät­zung be­stä­tigt: Sie wirft Hans-Jür­gen von Bose vor, er habe ge­zielt ein Kli­ma der Ge­walt und der Aus­weg­lo­sig­keit für die Be­trof­fe­ne ge­schaf­fen. Die­se habe um ihr Le­ben ge­fürch­tet, weil er ne­ben sei­nem Bett eine Waf­fe auf­be­wahr­te. Im Haus fand die Po­li­zei eine Schreck­schuss­pis­to­le. Kom­po­nist Eg­gert Ge­gen den Vor­ge­setz­ten aus­ge­sagt Wich­ti­ger aber ist ein an­de­res Druck­mit­tel, das die Staats­an­wäl­te an­füh­ren: Bose habe sei­ne Macht als Pro­fes­sor des Bru­ders an der Mu­sik­hoch­schu­le und als ein­fluss­rei­che Per­sön­lich­keit in der Mu­sik­sze­ne ge­zielt aus­ge­nutzt, um sei­ne Be­dürf­nis­se zu be­frie­di­gen. Er habe der Ge­schä­dig­ten an­ge­droht, er kön­ne ih­ren Bru­der rui­nie­ren. Bose sagt, es sei eine »glat­te und ex­trem bös­ar­ti­ge Lüge«. Eine re­nom­mier­te Psy­cho­lo­gin, die im Auf­trag des Land­ge­richts ein aus­sa­ge­psy­cho­lo­gi­sches Gut­ach­ten er­stellt hat, hält ge­ne­rell eine ab­sicht­li­che Falsch­be­zich­ti­gung der Frau für un­wahr­schein­lich. Al­ler­dings könn­ten sich de­ren Schil­de­run­gen in der Er­in­ne­rung teil­wei­se ver­zerrt ha­ben. Auch auf Grund­la­ge des Gut­ach­tens prüft das Land­ge­richt Mün­chen, ob es die An­kla­ge ge­gen Hans-Jür­gen von Bose zu­lässt. Drei Jah­re sind seit der Haus­durch­su­chung ver­gan­gen, ohne dass das Ge­richt ent­schie­den hät­te, was die Si­tua­ti­on für bei­de Sei­ten un­er­träg­lich macht: für die be­trof­fe­ne Frau, die auf Ge­rech­tig­keit hofft. Für den Be­schul­dig­ten, der sei­ne Un­schuld be­wei­sen will. Auch Sieg­fried Mau­ser tut sich schwer, Schuld bei sich zu fin­den. Er habe es ver­sucht, sagt der Ex-Prä­si­dent, als er sich An­fang Mai in ei­nem sel­te­nen Mo­ment bei ei­ner Ver­an­stal­tung bli­cken lässt, bei der Ver­lei­hung des Ernst von Sie­mens Mu­sik­prei­ses im Münch­ner Prinz­re­gen­ten­thea­ter. »Mir ist es bis­lang nicht ge­lun­gen.« Mau­ser ist ein an­ge­se­he­ner Kon­zert­pia­nist, Kam­mer­mu­si­ker und Lied­be­glei­ter. Als Mu­sik­wis­sen­schaft­ler und Prä­si­dent ei­ner der bes­ten Mu­sik­hoch­schu­len Deutsch­lands ge­noss er bald ei­nen Ruf, der über Bay­ern hin­aus­ging. Für die Staats­an­wäl­te aber ist er ein Mann, der eine un­be­kann­te Frau wie ne­ben­bei ver­ge­wal­tig­te. Ge­rüch­te über den ba­ro­cken Frau­en­hel­den gab es schon lan­ge, am 13. Mai 2016 kam es erst­mals zu ei­ner Ver­ur­tei­lung. Im April 2009 soll der Pro­fes­sor eine Kol­le­gin ge­gen ih­ren Wil­len ge­küsst und se­xu­ell ge­nö­tigt ha­ben. Ein Schöf­fen­ge­richt ver­ur­teil­te ihn zu 15 Mo­na­ten Frei­heits­stra­fe auf Be­wäh­rung und Zah­lung von 25 000 Euro, in der Be­ru­fung wur­de die Stra­fe auf neun Mo­na­te re­du­ziert. Über die Re­vi­si­on muss noch ent­schie­den wer­den. Von ei­nem an­de­ren Vor­wurf sprach ihn das Ge­richt frei: 2012 hat­te Mau­ser ei­ner re­nom­mier­ten Kon­zert­gi­tar­ris­tin meh­re­re Zun­gen­küs­se auf­ge­nö­tigt und sie in den Dienst­räu­men wäh­rend ei­ner Pro­be an den Ge­ni­ta­li­en be­rührt. Die Frau habe sich nicht er­kenn­bar ge­gen ihn zur Wehr ge­setzt, stell­te das Ge­richt fest. Ein Ar­gu­ment, das Mau­sers An­wäl­te im lau­fen­den Ver­fah­ren an­brin­gen: Die Frau, die sagt, sie sei im Prä­si­den­ten­zim­mer ver­ge­wal­tigt wor­den, habe spä­ter mit Mau­ser ein­mal ein­ver­nehm­lich Sex ge­habt. Die drei Ver­tei­di­ger glau­ben, dar­in ei­nen Wi­der­spruch ent­deckt zu ha­ben. Für den Ham­bur­ger Se­xu­al­wis­sen­schaft­ler Peer Bri­ken ist es al­ler­dings nicht un­ge­wöhn­lich, dass sich die Vor­stel­lun­gen über das, was je­mand als ein­ver­nehm­lich er­lebt, auch kurz­fris­tig än­dern kön­nen. »Man kann bei aus­ge­präg­ter ei­ge­ner se­xu­el­ler Er­re­gung, Ver­liebt­heit, Sti­mu­liert­heit den Schmerz beim Anal­ver­kehr ge­nie­ßen und un­ter den Um­stän­den des ge­walt­tä­ti­gen Aus­nut­zens von Macht und Ab­hän­gig­keit das ein­deu­tig als er­zwun­ge­ne Er­nied­ri­gung er­ken­nen«, sagt Bri­ken. Bei strit­ti­gen Er­fah­run­gen und Tat­sa­chen zwi­schen zwei Men­schen müs­se die­se nor­ma­ti­ve Ent­schei­dung ein Rich­ter tref­fen. Kon­zert­saal in der Hoch­schu­le: Gro­ße Ab­hän­gig­keit vom Do­zen­ten Die An­wäl­tin Ant­je Bran­des, die be­trof­fe­ne Frau­en ver­tritt, sagt: »Wir wis­sen in­zwi­schen von vie­len Frau­en, de­rer der An­ge­klag­te sich ein­fach be­dient hat, er hat sei­ne Macht­stel­lung ri­go­ros aus­ge­nutzt.« Auch die Rek­to­ren­kon­fe­renz der Mu­sik­hoch­schu­len hat sich mit den Vor­gän­gen be­fasst. »Die Zei­ten von Don Gio­van­ni und Fi­ga­ro sind Ver­gan­gen­heit«, sagt die Vor­sit­zen­de Su­san­ne Rode-Brey­mann. Sie be­grü­ße es, dass sich wis­sen­schaft­li­che In­sti­tu­tio­nen zum The­ma der se­xu­el­len Überg­rif­fe klar po­si­tio­nier­ten und Maß­nah­men so­wie Stan­dards ent­wi­ckel­ten. In der Rek­to­ren­kon­fe­renz habe man schon vor zwei Jah­ren da­mit an­ge­fan­gen. »Al­ler­dings ob­liegt die Um­set­zung den ein­zel­nen Hoch­schu­len.« An der Münch­ner Hoch­schu­le wan­deln sich die Struk­tu­ren nur lang­sam. Zu sta­bil wa­ren sie, so­dass macht- und selbst­be­wuss­te Prot­ago­nis­ten wie Mau­ser und Bose über Jah­re un­ge­hin­dert agie­ren konn­ten. Bei­de Pro­fes­so­ren wa­ren be­freun­det und hal­fen ein­an­der. Sie tran­ken Bier zu­sam­men und schwärm­ten zeit­wei­lig für die­sel­be Frau. Es führ­te dazu, dass Sieg­fried Mau­ser sich am 8. Mai 2007 von der Auf­sichts­pflicht als Rek­tor dis­tan­zie­ren woll­te – aus per­sön­li­cher Be­fan­gen­heit. In die­sem Um­feld kam es vor, dass Do­zen­ten mit ih­ren Stu­den­tin­nen Af­fä­ren ein­gin­gen und Kin­der mit ih­nen zeug­ten. Es war auch kei­ne Sel­ten­heit, dass of­fen se­xu­el­le For­de­run­gen ge­stellt wur­den, wie meh­re­re Zeu­gen vor Ge­richt aus­sag­ten. Man­cher Do­zent tarn­te sei­ne se­xu­el­le Gier of­fen­bar als Übung für die Büh­ne. Eine Stu­den­tin er­in­nert sich an eine Ver­ge­wal­ti­gungs­sze­ne, die ein Pro­fes­sor wie­der und wie­der ein­stu­die­ren ließ. »Ich stand an der Säu­le, und mein männ­li­cher Kom­mi­li­to­ne soll­te mich ›na­geln‹, so nann­te es der Do­zent«, er­zählt sie. »Nach Mei­nung des Pro­fes­sors hat sein Be­cken aber nicht au­then­tisch ge­nug ge­gen meins ge­knallt. Also stell­te sich der Pro­fes­sor hin­ter den jun­gen Mann und zeig­te, wie man es rich­tig macht.« Die Stu­den­tin möch­te ih­ren Na­men nicht ver­öf­fent­licht se­hen. Die Angst, of­fen zu spre­chen, ist bei vie­len noch im­mer groß. Die Hoch­schul­lei­tung be­teu­ert in in­ter­nen Run­den, sie tue al­les, um die At­mo­sphä­re zu ver­bes­sern. Sie ver­weist auf ei­nen Fly­er, den je­der Stu­dent in die Hand ge­drückt be­kommt, mit dem Mot­to »Nein heißt Nein«. Als die ehe­ma­li­ge Frau­en­be­auf­trag­te vor Ge­richt zu die­sem Fly­er be­fragt wur­de, sag­te sie: »Da gab es ei­nen, ja. Mehr weiß ich nicht.« Die Rich­te­rin hak­te nach: »Aber Sie müs­sen es doch wis­sen! Sie wa­ren die Frau­en­be­auf­trag­te!« Die Ge­fahr sol­cher Struk­tu­ren war der Hoch­schul­lei­tung schon lan­ge be­kannt, spä­tes­tens seit 1995. Der 16-jäh­ri­ge Jung­stu­dent Hein­rich Et­ten­ho­fer(*) be­rich­te­te da­mals, Pro­fes­sor Bose habe ihm se­xu­el­le Avan­cen ge­macht. Sei­ne El­tern hät­ten sich wahr­schein­lich ge­wun­dert, wenn sie ge­wusst hät­ten, dass der Pro­fes­sor den ta­len­tier­ten Jun­gen gleich bei der ers­ten Be­geg­nung zum Eis­es­sen aus­führ­te und spä­ter an­bot, er kön­ne nach ei­nem Kon­zert bei ihm über­nach­ten. Zu­nächst ver­trau­te sich der Jung­stu­dent sei­nem Leh­rer am In­ter­nats­gym­na­si­um an. Er er­zähl­te ihm auch, dass der Pro­fes­sor ihn auf­ge­for­dert habe, »das wil­de Tier« in sich her­aus­zu­las­sen. Der Gym­na­si­al­leh­rer un­ter­nahm nichts, erst Et­ten­ho­fers Kla­vier­leh­re­rin sah Hand­lungs­be­darf. Sie kann sich noch heu­te an al­les er­in­nern. Sie rief den Pro­fes­sor an und ver­wi­ckel­te ihn in ein Ge­spräch, das sie mit ei­nem al­ten An­ruf­be­ant­wor­ter mit­schnitt. Aus­ge­stat­tet mit die­sem Ma­te­ri­al, be­schwer­te sie sich bei der Mu­sik­hoch­schu­le: Bose habe sei­ne Stel­lung als Lehr­per­son sträf­lich aus­ge­nutzt. Er habe den Schü­ler be­drängt zu­zu­ge­ben, schwul zu sein. In der Hoch­schu­le lös­te der Mit­schnitt Un­ru­he aus. Der Kanz­ler in­for­mier­te das baye­ri­sche Kul­tus­mi­nis­te­ri­um, ein Re­gie­rungs­di­rek­tor bat dar­um, die Er­mitt­lun­gen dis­kret ab­lau­fen zu las­sen, der Mi­nis­ter wur­de ein­ge­weiht. Schließ­lich er­fuhr auch der Va­ter des Jun­gen von den Vor­wür­fen. Er ging zur nächs­ten Po­li­zei und woll­te An­zei­ge er­stat­ten. Die Po­li­zis­ten rie­ten ihm ab: Es sei ja nichts Hand­fes­tes vor­ge­fal­len. Ohne El­tern und An­walt wur­de der Jung­stu­dent in die Hoch­schu­le ge­la­den und zwei Stun­den lang be­fragt, spä­ter folg­te eine An­hö­rung im Mi­nis­te­ri­um. Er woll­te un­be­dingt Kom­po­si­ti­on stu­die­ren und war dank­bar, dass die Hoch­schu­le ihm we­nig spä­ter ge­stat­te­te, den Leh­rer zu wech­seln. Im Ge­gen­zug un­ter­schrieb er ein Pro­to­koll, das nach sei­ner heu­ti­gen Ein­schät­zung mehr als be­schwich­ti­gend war. Hans-Jür­gen von Bose sagt, die In­itia­ti­ve sei von dem Jun­gen aus­ge­gan­gen, der ihn bei der Auf­nah­me­prü­fung stän­dig an­ge­starrt habe. Er habe sich mit ihm ge­trof­fen, Eis ge­ges­sen und ihn ein paar­mal un­ter­rich­tet, da­nach habe es kein Tref­fen ge­ge­ben. Er sei dann ins Mi­nis­te­ri­um zi­tiert wor­den, weil sich der Jun­ge be­schwert habe. Dort habe man ihn vor »ei­nem Skan­dal« ge­warnt, das Mi­nis­te­ri­um hat­te sei­ne Oper »Schlacht­hof 5« nach Bo­ses An­ga­ben mit 100 000 Mark fi­nan­ziert. Kur­ze Zeit spä­ter habe er den Jun­gen auf der Stra­ße ge­trof­fen und in sei­ne Woh­nung ge­be­ten. Erst da habe er ihn da­mit kon­fron­tiert, dass er wohl mit sei­ner Ho­mo­se­xua­li­tät nicht zu­recht­kom­me. Das wis­se er, weil es ihm in sei­ner Ju­gend ge­nau­so ge­gan­gen sei. Der Stu­dent hat noch den Ab­schluss ge­macht, aber da­nach auf­ge­hört zu kom­po­nie­ren. Er sagt, dass er mit die­sen Men­schen nichts mehr zu tun ha­ben wol­le. * Na­men ge­än­dert. Martin Knobbe, Jan-Philipp Möller