Samstag, 5. Oktober 2013

Obdachlosenzeitungen

Obdachlos ist ein hartes, manchmal aber auch ziemlich frei gewähltes Schicksal. Aber, wenn ich ehrlich bin, ich frage mich: Sollte diese Gruppe von Menschen Zeitungen herausbringen? Berichte, Erläuterungen, ja, aber Zeitungen? Was kann da drin stehen, das die Menschen interessiert? Es müsste mich interessieren? Wirklich? Warum? Ich krieg das alles nicht mehr unter! Ich soll mich für alles interessieren? Das ist einfach zu viel.

TAGESSPIEGEL Online:

Obdachlosenzeitungen in Berlin | Schon wieder so einer || Von Alicia Rust || Gar nicht obdachlos. Markus W. hat eine kleine Wohnung, arbeitet fünf Tage die Woche und will keine Almosen. || Viele Leute sind genervt, wenn Markus W. in die Bahn einsteigt. Er verkauft Obdachlosenzeitungen – doch das lohnt sich immer weniger. Großfamilien drängen in das Geschäft, und arme Rentner hoffen auf ein paar Euro extra. Ein Straßenreport.

„Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren. Ich bitte um Entschuldigung für die Störung. Ich verkaufe die neue Ausgabe des Straßenfegers mit dem Thema Orte. Die Zeitung unterstützt Obdachlose und so arme Teufel wie mich. Und sie kostet 1,50 Euro. Neunzig Cent davon gehen an mich. Da ich aufgrund einer Gehirnhautentzündung zum Invaliden wurde, wäre es sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie mich durch den Kauf einer Zeitung oder durch eine kleine Spende unterstützen würden. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen guten Tag.“

Der Hintergrund des Problems ist doch: Eine liberale (!) Grundtendenz in der heutigen Gesellschaft lässt alle gelten, die ehedem ausgegrenzt waren. Das kostet erst mal nichts und bringt ein gutes, flauschiges Gefühl von Fortschrittlichkeit. An der Lage und wohl auch an der Einschätzung der verschiedenen ehedem ausgegrenzten Gruppen hat sich aber erst einmal nichts geändert. Der entscheidende Punkt bleibt nämlich jetzt: Haben die Gruppen a) Macht, b) Geld, c) ein eigenes Interesse, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Jetzt die Beispiele: Schwule haben b) und c), manchmal sogar a). Also, ok -- eine Zeitung würde sich rechnen. Prostituierte haben in unterschiedlichem Umfang b), kaum a), nicht c). (Spezielle Werbung in den Abendzeitungen gilt da nicht.) Behinderte? Obdachlose?