Montag, 20. November 2017

Enzensbergers 'radikale Verlierer'

In den Zeiten des sogenannten Kalten Kriegs konnten sich westliche Intellektuelle nicht vorstellen, dass es einmal die Renaissance der RELIGION -- nun gut, einer bestimmten Religion geben wird. Aber dann? Die Erklärung ist so schlicht wie einleuchtend: Der Atheismus marxistischer Provenienz dankt mit den Ost-Regimen ab. Und die Abhängten der Welt, soweit sie unter islamischem Einfluss stehen, drängen in die Lücke und damit nach vorne. Nicht selten hier gesagt, aber vielleicht nicht in diesen Worten: 

Wenn Männer, die sich selbst überaus wichtig nehmen, feststellen müssen, dass sie in der Öffentlichkeit nicht wichtig sind, dann suchen sie nach Wegen um sich wichtig zu machen. 

Die Mittel? Gewalt zieht immer, weil sich der Gewalt keiner entziehen kann. Wenn jemand im Fernsehen großen Quatsch von sich gibt, kann man abschalten. Wenn jemand mit einem großen Messer vor einem steht und großen Quatsch redet, ist da erst einmal das große Messer und man kann nicht abschalten. Unter diesen Voraussetzungen:

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Warum schließt sich ein Thaiboxer aus Singen dem IS an? || Wie kommt ein Mensch aus einer süddeutschen Kleinstadt dazu, die Kalaschnikow in die Hand zu nehmen und sich einer Terrorgruppe anzuschließen, die den Rest der Welt in Angst und Schrecken versetzt? Warum lässt er dem IS zuliebe Frau und zwei kleine Töchter am Hohentwiel zurück? So präsentiert er sich auf seiner Facebook-Seite: Thaibox-Star Valdet Gashi aus Singen vor der Flagge des Islamischen Staates | Als überzeugter Muslim wolle er den Glaubensbrüdern in Syrien helfen, beteuert Gashi – „Alten, Jungen, Obdachlosen, Witwen oder Armen“. Und er wolle „dem nachgehen, was hier wirklich passiert“. Blut habe er nicht an seinen Händen. || Von Singen über Winterthur nach Syrien: Eine Spurensuche in der Schweizer Stadt 'Ich habe kein Blut an meinen Händen': Interview mit dem Thaiboxer Valdet Gashi Wie der IS seine Mitglieder anwirbt 

Kommentar: Das Erschreckende ist die Normalität 

Konstanz: 16-Jährige zieht in den Heiligen Krieg nach Syrien Was wurde aus Sarah O.? Silvio K., der Terrorist vom Bodensee Nachprüfen lassen sich seine Antworten nicht. Aber sie geben einen Einblick in das Seelenleben eines jungen Menschen, der einen neuen Sinn in seinem Leben sucht und bei religiösen Eiferern fündig wird. Auch der frühere Box-Profi vom Hohentwiel kam keineswegs als Heiliger Krieger zur Welt. Aufgewachsen ist er in Deutschland, die Eltern stammen aus dem Kosovo. Der Islam spielte zu Hause keine große Rolle. Zum Koran fand Gashi erst später, als er im Internet auf wortgewandte Prediger wie den deutschen Konvertiten Pierre Vogel stieß. (suedkurier.de)

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Immer wieder der Verweis auf Enzensbergers 'radikalen Verlierer'. Ein längeres Zitat aus dem SPIEGEL. Man übersehe nicht: des Jahres 2005.

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Wer sich mit den objektiven, den materiellen Kriterien, den Indizes der Ökonomen und den niederschmetternden Befunden der Empiriker begnügt, wird vom eigentlichen Drama des radikalen Verlierers nichts verstehen. Was die anderen von ihm halten, seien sie Konkurrenten oder Stammesbrüder, Experten oder Nachbarn, Mitschüler, Chefs, Feinde oder Freunde - das genügt nicht, um ihn zu motivieren. Der radikale Verlierer selbst muss sein Teil dazu beitragen; er muss sich sagen: Ich bin ein Verlierer und sonst nichts. Solange er davon nicht überzeugt ist, mag es ihm schlecht gehen; er mag arm sein, machtlos; er mag die Misere und die Niederlage kennen; zum radikalen Verlierer aber hat er es erst gebracht, wenn er sich das Votum der anderen, die sich Gewinner dünken, zu Eigen gemacht hat.
Niemand interessiert sich freiwillig für den radikalen Verlierer. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Der nämlich schlägt, solange er allein ist, und er ist sehr allein, nicht um sich; er wirkt unauffällig, stumm: ein Schläfer. Wenn er sich dennoch einmal bemerkbar macht und aktenkundig wird, löst er eine Irritation aus, die dem Erschrecken nahe kommt; denn seine bloße Existenz erinnert die anderen daran, wie wenig es bräuchte, und es erginge ihnen so wie ihm. Vielleicht würde man dem Verlierer sogar beistehen, wenn er nur endlich aufgäbe. Aber er denkt nicht daran, und es sieht nicht danach aus, dass er sich gern helfen ließe.
Zahlreichen Berufen dient der Verlierer als Studienobjekt und Existenzgrundlage. Sozialpsychologen, Sozialarbeiter, Sozialpolitiker, Kriminologen, Therapeuten und andere, die sich nicht zu den Verlierern zählen, wären ohne ihn brotlos. Aber auch beim besten Willen bleibt der Klient in ihren Augen opak; ihre Empathie stößt auf gutgesicherte professionelle Grenzen. Immerhin wissen sie, dass der radikale Verlierer schwer zugänglich und letzten Endes unberechenbar ist. Unter den Hunderten, die in ihren Amtsstuben und Praxen vorsprechen, den einen zu identifizieren, der zur letzten Konsequenz bereit ist - damit sind sie überfordert. Vielleicht spüren sie, dass es sich nicht um einen bloßen Sozialfall handelt, der sich auf dem Verwaltungswege reparieren ließe. Denn der Verlierer denkt sich sein Teil. Das ist das Schlimme. Er schweigt und wartet. Man sieht es ihm nicht an. Gerade deshalb wird er gefürchtet. Diese Angst ist historisch sehr alt, doch heute ist sie begründeter denn je. Jeder, der über einen Zipfel sozialer Macht verfügt, ahnt bisweilen etwas von der enormen destruktiven Energie, die im radikalen Verlierer steckt und die durch keine Maßnahme, mag sie noch so gut, vielleicht sogar ernst gemeint sein, stillgelegt werden kann. (spiegel.de)

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