Freitag, 2. Juni 2017

Die Schriftsteller und das Geld

Ich hätte wahrhaftig nicht gedacht, dass sich diese Frage, ins Wikipedia-Café geworfen, so auswächst. Aber nun -- will ich die Sache auch hier in aller Ausführlichkeit festhalten. Eh sie im Café-Archiv unsichtbar wird.

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Bücher / Belletristik: Wieviele Exemplare werden wirklich verkauft?

Solche Frage, wie die vorliegende, stelle ich hier nur, wenn ich über längere Zeit hin versucht habe, eine Antwort zu finden, sie aber nicht gefunden habe. -- Also, Buchhändler, Verlagsangestellte ("Pubhouseleaks" hier?), sonstige Insider:
Was die Anzahl der verkauften Bücher angeht, gibt es natürlich hin und wieder Antworten. Wenn die Bücher Hyperseller sind. Beispiel: Harry Potter.
Und es gibt Angaben zur Anzahl der Auflagen. Wobei da schon unklar ist, wie viele Exemplare 1 Auflage umfasst. 10. Aufl. = 500 verkaufte Bücher oder 5.000?
Aber wieviel verkauft wohl der durchaus bekannte, aber eben Normalo-Schriftsteller? (Ich weiß, das ist ein schwieriges Wort, das mit dem Normalo. Gemeint ist: zwischen Kleinschriftsteller, nur im Landkreis bekannt und Großschriftsteller mit Empfehlung der Schullektüre, mit entsprechhenden Auswirkungen auf den Verkauf ("Klassensatz").)
Weil diese Bücher gerade auf meinem Schreibtisch liegen, diese Beispiele:
Bodo Kirchhoff, Die Liebe in groben Zügen. Frankfurter Verlagsanstalt. 5. Aufl. 2013.
Stefan Chwin, Der goldene Pelikan. Hanser. Wohl 1. dt. Aufl. 2005.
Rainer Wochele, Der General und der Clown. Klöpfer & Meyer. 1. Aufl. 2008.
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Andere Beispiele, bei denen die Verkaufszahlen bekannt sind: natürlich willkommen!
Warum mich diese Frage interessiert? Weil ich viel übrig habe für eine positivistisch fundierte Literaturwissenschaft. (Fundiert, nicht ausschließlich positivistisch. So im Sinne von: "Erst kommt das Autoreneinkommen, dann kommt die Interpretation.") Da gehören solche Fragen, die meines Wissens in keinem literaturwissenschaftlichen Einführungskurs jemals gestellt werden, mit dazu. An diese Frage angeschlossen gibt es dann jede Menge andere. Beispielsweise: Hat sich der Buchverkauf, quantitativ, bedingt durch Internet, TV und andere Zeitfresser, eigentlich in den letzten 50 Jahren gravierend verändert? Oder: Wie viele der ge- / verkauften Bücher werden tatsächlich von wie vielen Personen zu wieviel Prozent gelesen? || 12:27, 31. Mai 2017

Auch wenn ich Deinen literaturwissenschaftlichen Ansatz nicht teile und um jeden Artikel in der Wikipedia froh bin, der mehr zu einem Werk zu sagen weiß als bloße Zahlen: Hier ist für einige ausgewählte Bücher eine ganz interessante tabellarische Gegenüberstellung der Startauflage, die ein Verlag für realistisch hält (und zu der im Erfolgsfall evtl. Nachauflagen sowie weitere Ausgaben - Taschenbuch, Hörbuch etc. - kämen) und der Entwicklung der Auflage durch eine Besprechung im literarischen Quartett. Ob die verkauften Bücher dann alle auch gelesen wurden, weiß aber vermutlich niemand. Gruß --Magiers 13:19, 31. Mai 2017

In alten Taschenbüchern waren die einzelnen Auflagen und ihre Zahl jeweils genannt. War damals ganz interessant zu sehen. --195.200.70.50 16:51, 31. Mai 2017

Stimmt, bei rororo-Taschenbüchern stand das früher manchmal drin. Ich hab sogar noch so eins: Sjöwall/Wahlöö: "Endstation für neun". Das sind die Großeltern der Schwedenkrimis und ihr Kommissar Beck geistert noch heute durch die Krimilandschaft, hat mit den damaligen Krimis allerdings nichts mehr zu tun. Für dieses Buch gewannen sie 1971 den Edgar Award, es war also zu erwarten, dass das ein Topseller wird.
1.-25. Tausend April 1971
26.-30. Tausend Mai 1973
31.-35. Tausend März 1974
36.-43. Tausend März 1975
44.-50. Tausend Februar 1976
51.-58. Tausend November 1976
59.-68. Tausend Juni 1977
69.-83. Tausend Dezember 1977
Anscheinend legte man damals lieber mehrmals Auflagen zu ca. 5.000 Exemplaren auf, als einmal eine große Menge zu drucken. Wahrscheinlich war das die Anzahl, die man in "einem Rutsch" bei allen Buchhändlern Deutschlands unterbringen konnte. Auch heute dürfte es noch eine Mindestanzahl bei Taschenbüchern geben, unter der sich ein Druck gar nicht lohnt. Bei gebundenen Werken dann natürlich entsprechend weniger.--Optimum 19:28, 31. Mai 2017

Ha, dazu sicher noch Zehntausende in der DDR, dort unter dem Titel "Der lachende Polizist", was dem schwedischen Originaltitel entspricht. Der ist doch gut: Was hat man wohl mit dem ulkigen "Endstation für neun" bezweckt? Wundere ich mich bei absurden Filmtitelübersetzungen auch immer; früher war's ja noch schlimmer als heute. --AMGA (d) 10:20, 1. Jun. 2017

In dem Krimi wird ein Bus führerlos mit neun Mordopfern an der Endhaltestelle gefunden, insofern ist "Endstation" eine Art Wortspiel. Der "lachende Polizist" wird dagegen nur in zwei kurzen Abschnitten erwähnt. Man wollte wohl lieber einen reißerischen Titel. Ist hier aber wohl OT. --Optimum 21:26, 1. Jun. 2017

Erst mal Dank für alle Hinweise und Infos. Dann @Magiers "Auch wenn ich Deinen literaturwissenschaftlichen Ansatz nicht teile ..." -- Also einen richtigen "Ansatz" würde ich das noch nicht nennen. Es hat mich halt immer gestört, dass die einfachen, aber eben auch wichtigen Fragen bei den Literaturwissenschaftlern ausgeklammert und von den Literatursoziologen auch immer wolkig abgehandelt werden. Dazu gehört auch, wie Literatur überhaupt zum Buch wird. Genauer: Studien zur Auswahl der Lektorate von Literaturverlagen. Dann eben die Verkaufszahlen. Die Querverbindungen zwischen Verlagen und Zeitungen. Usw. Aber bleiben wir erst mal bei dem hier. :-) || 15:55, 1. Jun. 2017

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Dass ich manchmal den Zeitgeist treffe, gleich an der nächsten Ecke -- nun gut. Heute habe ich ihn, was meine Frage da oben angeht, gleich zweimal getroffen, zum Frühstück! 1. Ein Interview mit Alina Bronsky, im Wirtschaftsteil der SZ, auf S. 22. (Im Moment sogar online!)

Was war bisher Ihr erfolgreichstes Buch? || Mein erfolgreichstes Hardcover ist das aktuelle "Baba Dunjas letzte Liebe", das fünf Wochen unter den ersten 20 war und fast ein Jahr unter den ersten 50. || Wie viele davon haben Sie verkauft? || 80 000. || Und "Scherbenpark", Ihr erstes Buch? || "Scherbenpark" kam als Hardcover nie auf die Liste. Aber es lief sehr schön als Taschenbuch. Ich habe neulich die 13. Taschenbuchauflage gesehen. Das ist ein seltenes Glück, dass es einfach kontinuierlich weitergelesen wird. Bis jetzt sind es auch an die 80 000. || Schauen Sie bei Amazon nach, wie sich Ihre Bücher verkaufen? || Ja, natürlich. Ich google bei neuen Büchern oft den Verkaufsrang, wie es die meisten Autoren tun. Der sagt allerdings wenig über die Stückzahlen aus. Dennoch habe ich mir damals bei "Scherbenpark" mit "Programmieren für Dummys" ein kleines Programm geschrieben. Das las dann stündlich den Rang bei Amazon aus und speicherte es in einer Liste. Es war noch in der Zeit, bevor die Smartphones aufkamen und man nicht ständig online gucken konnte.
2. Eine Rede, die Wolf Wondratschek an seinem alten Gymnasium gehalten hat. (Auch in der heutigen SZ, auf S. 12. Für E-Paper-Abos hier.) Hier erfährt man, dass der Schriftsteller aus der 2. Reihe gut lebt, wenn er geschäftstüchtig ist.

Wondratschek: Niemand konnte ahnen, wie viele Menschen die Gedichte, die ich schrieb, lesen wollten. Ich war, was meine Gedichte anging, ganz gegen meinen Willen zu einer Art Bestsellerautor geworden. Ich war - Gott sei's geklagt - in Mode. || SZ: Und deshalb ging dann hin und wieder das Telefon. || Ja, bitte? | Ein Redakteur eines Gourmet-Magazins hatte Fotos vor sich auf dem Tisch liegen, Fotos von einem berühmten Fotografen, die er unbedingt in seinem Heft haben wollte, aber er brauchte irgendwas, einen Text. Etwas über Spaghetti. | In meinem Kopf machte es klick! Das wird teuer, sagte ich. | Dachte ich mir, sagte er. | Wir einigten uns. | Ich wurde für eine Seite Text, die ich in einer Nacht raushaute, besser bezahlt als für ein Manuskript, auch wenn ich daran Tag und Nacht, und das zwei Jahre lang, geschuftet hätte. | Ein anderes Beispiel. Ein hohes Tier eines Autokonzerns wünscht sich einen Text als Vorwort für einen repräsentativen Bildband, der nur an wenige ausgesuchte Händler, das allerdings in aller Welt, abgegeben werden soll. Wenn einer so etwas schreiben kann, dann Sie, sagt er, was mich überrascht. Wäre der amtierende Bundespräsident, ein Weltmeister der Formel 1 oder ein PS-begeisterter Opernsänger nicht die bessere Wahl, wende ich ein. Wir haben uns gedacht, sagt er, dass ein Dichter, einer wie Sie, das machen sollte. | Das wird teuer, sage ich. | Kein Problem, sagt er. | Wir einigen uns.
So geht es noch eine ganze Weile weiter. Dann:

Damals gewöhnte ich mir an, mir alles in bar auszahlen zu lassen. Ich wollte den Dreck, den Geld für mich darstellt, sehen. Wie ein Arbeiter, der freitags seine Lohntüte kriegt, Geld sehen will. Es gibt eine Anekdote, die niemand für wahr hält, die es aber ist. Ich soll von meinem Verleger für ein Manuskript nicht Geld, sondern eine Kiste Gold verlangt haben. Stimmt, habe ich. Und warum eigentlich nicht? Gedichte mit Gold zu bezahlen erschien mir angemessener, zumindest poetischer als mit einem Bündel dreckiger Geldscheine.
Bleibt, rein sachlich, die Frage, wie das mit dem Baren so war und ist. Im Kuvert? Oder doch, sagen wir: extra nach Hamburg fahren, um das Geld abzuholen? Na gut, wahrscheinlich doch im gepolsterten Kuvert. || 08:23, 2. Jun. 2017