Mittwoch, 25. Juli 2018

"Der entfesselte Patient"

Dass man als Jurist, der man bleibt, auch wenn man ins Journalistische wechselt -- dass man es gerne sieht, wenn den Richtern strikte Befugnisse -- ach, sagen wir ruhig: Macht verliehen wird, das ist verständlich. Heribert Prantl war so richtig Jurist, und dass er die Rechtssprechung des BVG in Sachen "Fixierung" richtig findet, das ist verständlich.

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Mittwoch, 25. Juli 2018

Psychiatrie: Der entfesselte Patient

Das Verfassungsgericht hat ein gutes Urteil gefällt: Es ordnet die Fixierung der Fixierung an. Es reagiert damit auf eine Urangst vieler Menschen - auf die Angst, auf einmal hilflos in einer heillosen Maschinerie zu stecken. Solche Ängste hatte zuletzt der Fall Mollath geweckt.

VON HERIBERT PRANTL

Es mag Leute geben, denen der verfassungsrechtliche Bohai wegen ein paar Fixierungen in der Psychiatrie etwas übertrieben vorkommt. Nein, er ist nicht übertrieben. "Fixierung" ist ein harmlos klingendes Wort für eine brutale Sache. Es geht darum, wann und wie und von wem, auf wessen Anordnung und wie lange ein psychisch kranker Mensch festgebunden oder festgeschnallt werden darf - zu seinem eigenen Schutz oder zum Schutz der Menschen in seiner Umgebung. Es geht um eine Kernfrage des Rechts: Was darf der Staat einem Menschen antun? (sueddeutsche.de - Ev. nur für Abonennten)

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Jetzt möchte ich einmal gegenüber Prantls Meinung wirklich kritisch sein, in allen Belangen.

  1. "Der entfesselte Patient". Wenn einem so ein Wortspiel einfällt, dann kann man als sprachliebender Mensch kaum widerstehen. Schon klar. Dann muss es raus! Man sollte aber innehalten, nachdenken und dann -- auf das nur in erster Instanz witzige Wortspiel in veröffentlichten Texten verzichten. Solche Wortspiele sind auf der Ebene der Logik und der Inhalte das, was man auf der Ebene des Endreims mit "Reim dich oder ich fress dich!" umschreibt.
  2. "Solche Ängste hatte zuletzt der Fall Mollath geweckt." Ich mag mich täuschen, aber bei M. ging es um was ganz und gar anderes. Da waren ja ganz ordnungsgemäß sämtliche juristischen Kautel-Instanzen eingeschaltet. Fixiert wurde M. auch nicht, sondern einfach "psychiatrisch weggesperrt". Und, aufgepasst: Die Irrtümmer und Deppertheiten in Sachen Mollath sind nicht von Ärzten oder Pflegern begangen worden, sondern vom juristischen System höchstselbst. Von diesem System in all seiner Prächtigkeit. Und das System hat sich am Ende dann mühsamst selbst korrigiert.
  3. Ich kannte mal recht gut einen Richter in Sachen Wirtschaftsrecht. Er hat in der Wohnung unter mir gewohnt, und wir sind hin und wieder essen gegangen. Er hat mir, weil ich neugiertig nachgefragt habe, wie das denn vor Gericht so zugehe, gesagt, dass er natürlich in den seltensten Fällen in den Feinheiten zum Beispiel eines betrügerischen Konkurses wirklich durchblicke. Dafür gebe es Fachleute, deren Gutachten er sich anhöre. Und dann müsse er sich wohl oder übel eine Meinung bilden. Aufgrund dieser  Meinungsbildung werde dann das Urteil gefällt. -- Warum sage ich das? Weil ich davon ausgehe, dass Richtern, wenn es hart auf hart kommt, nichts anders übrigbleibt, als Ärzte als Gutachter einzubestellen. Von denen sind die Richter dann abhänging. 
  4. Warum nicht also gleich das Juristische eine Stufe später ansetzen. Nämlich so: Eine Fixierung wird für unausweichlich erachtet und sie wird durchgeführt. Es gibt ein Protokoll, das ein internes medizinisches Gremium -- das nicht der "fixierenden Klinik" angehört -- prüft. 
  5. Es gibt Rückfragen hinsichtlich Ungereimtheiten, Widerspruch von Angehörigen oder einem Rechtsanwalt. Im Zweifelsfall, wenn denn möglich, eine Patientenbefragung. Wenn keine Probleme sichtbar werden, dann ok.
  6. Wenn es Probleme gibt -- dann erst das Gericht.
Zusammengefasst: Zu glauben, dass Richter die großen Alleswisser sind, die in allen Spezialfällen des Lebens und der Wissenschaft Bescheid wissen -- diese Auffassung ist doch ein wenig arg, sagen wir behutsam: justizzuversichtlich. Man könnte noch einen Schritt weitergehen und formulieren: Das juristische System zieht -- Holla, die Waldfee! -- Befugnisse an sich. Einfach weil es das kann.

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