Donnerstag, 5. Juli 2018

"Die meisten haben sich angepasst"


Ich bin auf der Suche nach politischen Seitewechslern. Horst Mahler ist bekannt. Und sonst? Gibt es auch Leute -- Männer ja wohl -- die von der extremen Rechten zur Mitte oder zur extremen Linken gewechselt sind?

Beim BK eine Sendung, ein informativer Text:

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Die meisten, darf man annehmen, haben sich angepasst und als linksliberale Besitzbürger häuslich eingerichtet. Joschka Fischer mutierte vom Staatsfeind zum Staatsmann. Jürgen Trittin nahm – wie viele „Antiautoritäre“ – zuvor noch den bizarren Umweg über ultra-autoritäre kommunistische Sekten. Damals passte der Marxismus gut ins aufrührerische Konzept der 68er-Kerntruppe, der Vätergeneration und ihrem (angeblichen Nazi-Überbleibsel) Antikommunismus eins auszuwischen.

Das böse Wort vom „Linksfaschismus“
Fischer und Trittin haben ihren politischen Kompass nicht völlig neu justiert. Aber sie entsorgten, was der Philosoph Jürgen Habermas (selbst ein Linker) einst mit dem bösen Wort vom „Linksfaschismus“ meinte: Die den Ur-68ern eigene, alle Moral untergrabende Haltung aus Aktionismus und Gewaltneigung.

Der Mitbegründer der linksterroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) und nun im rechten Lager aktive Berliner Anwalt Horst Mahler zeigt am 20.4.2001 im Gebäude des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts einen Teil der 388 Seiten umfassenden Stellungnahme der NPD zum Verbotsantrag der Bundesregierung; rechts der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt. Anschließend gaben Mahler und Voigt den Schriftsatz an der Gerichtspforte ab. Zu ihrer Verfahrensstrategie wollen sich die NPD-Vertreter am 23.4. in Berlin äußern. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Partei bis zum 23. April Zeit gegeben, um auf den Ende Januar 2001 eingereichten Regierungsantrag zu entgegnen. Zu den Ende März eingegangenen Verbotsanträgen von Bundesrat und Bundestag darf die Partei bis zum 1. Juni Stellung nehmen. | Bild: picture-alliance/dpa
Horst Mahler als NPD-Anwalt

Horst Mahler trieb dies zum Exzess. Er gründete die RAF mit, bevor er sich zum bekennenden Nationalsozialisten und Holocaustleugner wandelte. Mahler ist keineswegs völlig aus der Art geschlagen. Reinhold Oberlercher, Bernd Rabehl, Klaus Rainer Röhl, Günter Maschke und andere 68er-Promis kamen ebenfalls auf der gegenüberliegenden Seite des politischen Spektrums an.

Aktionistisch, egozentrisch, gewaltbereit
Der militante Aktionismus, nicht die Linkspolung, war der gemeinsame Nenner der Rebellen. Wolfgang Kraushaar, 68er-Kenner wie nur wenige, bezichtigte APO-Ikone Rudi Dutschke der egoistischen Willkür. Maßgeblich gewesen seien auch für ihn

"die Feier des Illegalen, […] die Entschlossenheit zum antiimperialistischen Kampf und die damit verbundene Entgrenzung der politischen Gewalt."

Wolfgang Kraushaar
Der (vermeintlich) linke Antiimperialismus, die „Befreiung“ Vietnams aus den Fängen der USA - und die Vorstellung eines blockfreien, souveränen und wiedervereinigten Deutschlands: für Dutschke zwei Seiten einer Münze. Wäre Dutschke kein Marxist gewesen, sein Antiamerikanismus hätte nahtlos an die extreme Rechte andocken können. Zehn Jahre nach 1968 - und zehn Jahre, nachdem der Rechtsextremist Josef Bachmann ein Attentat auf das „dreckige Kommunistenschwein" Dutschke verübt hatte - schrieb er:

"Der tief moralisierende Internationalismus hatte zweifellos Elemente der Fremdbestimmung und der Sehnsucht nach einer echten Identität in sich."

Rudi Dutschke, Aufrecht gehen
Aus heutiger Sicht eine geteilte „Sehnsucht" - auf anderer Seite zwar, und der Ton ist aggressiver geworden. Mit denselben Signalwörtern wie Dutschke agitiert nun eine Neue Rechte für nationale Identität, gegen eine angebliche moralische Bevormundung von links und Fremdbestimmung von außen.

Ein rechter Dutschke
Ganz ohne linken Ballast, aber mit der typischen revolutionären Entschiedenheit trat seinerzeit Henning Eichberg auf. Fast unbemerkt freilich, denn er hielt sich mit Langhaarfrisur und Anarcho-Outfit strikt an die 68er-Kleiderordnung. Dass Eichberg den Begriff „Ethnopluralismus“ – heute Mantra der extrem rechten „Identitären“ – neu begründete, fiel erst bei näherem Hinsehen auf. Ethnopluralismus – das ist die wohlklingende Bezeichnung für eine rassistisch motivierte (Rang-)Ordnung der Völker.

Die Neue Rechte und der Mythos „68“
Niemand tut heutzutage mehr für den – in diesem Fall zum Feindbild hochgetunten – Mythos des porentiefrein linken „1968“ als die extreme Rechte: Vor 50 Jahren hätten „Psychopathen“ und „Volksverräter“ das Teufelswerk „Multikulti“, „Genderwahn“ und „Meinungsdiktatur“ in Gang gesetzt.

Dabei blasen unter anderem die „Identitären“ mit den Mitteln der 68er zur Konterrevolution. Sie kopieren das „antibürgerliche“ Aufbegehren gegen Werte und Moral. Das Ziel ist damals wie heute dasselbe: den angeblich repressiven Charakter des „herrschenden" demokratischen „Systems“ durch gezielte Provokationen bloßzustellen.

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