Dienstag, 6. Oktober 2015

"Deplatziert"? Da platzt was!

Eine Meldung, zwei Überlegungen ganz unterschiedlicher Art:

"POLITIK KANZLERIN IN INDIEN 08:54 Warum geht Merkel in der Flüchtlingskrise auf Reisen? Amerika oder China, jetzt gerade Indien – bisher liebten es die Deutschen, wenn Angela Merkel große Weltpolitik machte. Doch in der Flüchtlingskrise wirkt die Kanzlerin im Ausland deplaziert." (WELT)

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A) Die "Flüchtlingskrise" wird so schnell nicht vorbeisein. Soll die Kanzlerin jetzt die nächsten 10 Jahre in Berlin rumsitzen und die Krise regieren? Es ist doch zu hoffen, dass sie "ihre Leute" hat, die das hinbekommen. Wenn es denn hinzubekommen ist.

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B) Dann das letzte Wort: deplaziert. Gut so und nicht anders. Nur der DUDEN macht daraus: "Dieses Wort oder diese Verbindung ist rechtschreiblich schwierig". Um genau zu sein: Das gilt für platzieren (sic), aber seltsamerweise nicht für deplatziert. Also, wenn ich diese Schreibweise sehe, dann platzt (sic) bei mir der Rechtschreibkragen!

Was sagt Google?

Verhalten deplatziert > Ungefähr 106.000 Ergebnisse (0,68 Sekunden)

Tja, die Befragung klappt nicht, denn es wird diese tz-Schreibweise -- die mir leicht dämlich vorkommt, ich kann mich nicht gegen dieses Gefühl wehren --  immer mit reingerechnet, auch wenn man Anführungszeichen benutzt.

Versuchen wir es mal so: site:sueddeutsche.de deplaziert -- Was sehen wir: Die Sache geht innerhalb einer guten Zeitung munter durcheinander, mal so, mal so. Und wenn es sein muss auch innerhalb ein und desselben Artikels und ausgerechnet innerhalb eines Artikels aus dem "Sprachlabor", in dem Sprachschwierigkeiten besprochen werden:

26. Juni 2013, 14:28 Uhr Sprachlabor (204) Der Dreiklang ist deplaziert ... Beim Besuch in Langenburg wurden dem Thronfolger Landesspezialitäten präsentiert: Schinken, Dirndldekolletés, Schweine." Frau K. empfand den Dreiklang als deplatziert, was die Kollegin, die den Text verfasst hatte, schmerzte und ihrerseits zu dieser Erklärung veranlasste: ...

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Und weil ich schon mal dabei bin, schiele ich noch schnell mal rüber zu Dieter E. Zimmer und seiner ZEIT. Zimmer kritisiert seinerseits die Reformkritiker. Nämlich so:

"'Die Politik', 'die Bürokratie' hätte 'die Sprache' vergewaltigt, die 'dem Volk' gehört? Um 'die Sprache' geht es sowieso nicht. Wer die Rechtschreibung mit der Sprache verwechselt, hat einen allzu armseligen Begriff von dieser. Dass die Reform 'die Sprache konsequent ihrer Ausdrucksmöglichkeiten beraube', ist eine Wahnidee, von deren Haltlosigkeit sich jeder Leser in drei Minuten überzeugen könnte. Es ging nicht um die Sprache, sondern um eine minimale, die Lesbarkeit nicht beeinträchtigende Veränderung der Schreibweise für einige tausend Wörter unter Hunderttausenden."

Soll man diese Argumentation sophiticated nennen, oder ist sie sophistisch? Ist diese Argumentation nicht doch, wie man früher manchmal gesagt hat: klügelnd? Das soll jede und jeder selbst entscheiden. Nur, wenn Menschen, ich auch manchmal, in Sachen Rechtschreibung leicht genervt reagieren -- keiner, vielleicht von Theodor Ickler und seinen Freunden abgesehen -- regt sich wirklich groß auf. Wenn also jemand leicht genervt reagiert, dann geht mein Vergleich anders als der von Dieter E. Zimmer. Ich sage dann mal so: Die, die sich aufregen, sind unterschiedlich und regen sich aus höchst unterschiedlichen Gründen auf. Das ist immer wieder mal eine eigene Untersuchung wert. Unter denen, die sich aufregen, ist eine Gruppe, die das Ganze feinsinnig-spielerisch sieht. Bei dieser Gruppe würde ich mich einreihen. Und dann geht mein Vergleich so: Nehmen wir mal an, die Berliner Philharmoniker spielen Ludwig van Beethovens Leonoren-Ouvertüre. Und aus den Geigen heraus kommt drei Mal, deutlich hörbar, ein falscher Ton. Soll man sich dann gestört fühlen? Es waren doch nur drei Stellen! Alles andere war alt-vertraut, nahezu perfekt! Aber nun -- wenn man empfindlich ist, dann kann man sich halt über einen einzigen Ton, wenn man ihn für falsch hält, ihn als falsch empfindet, aufregen. Und ich rege mich dann einfach mal, zurück zur Rechtschreibung, über ein einziges deplatziert auf.