Dienstag, 6. Oktober 2015

Stoffsammlung: Die Piraha und das Glück

Das kritische Spiel geht so: Bleibe misstrauisch, wenn ganz neue Erkenntnisse aus sehr fremden Welten auftauchen. Von jemandem überliefert, der der Einzige ist, der sich da auskennt. Oder vorgibt, sich auszukennen. Es gibt keine Kontrolle. Es kann alles ungefähr so sein, wie er behauptet, oder er erzählt Phantasiegeschichten oder -- noch gefährlicher -- Dinge, von deren Richtigkeit er subjektiv überzeugt ist, die sich aber ganz anders darstellen, wenn es 100 Kenner und drei Fraktionen von Kennern gibt

Auf keinen Fall sollte man sich vom Titel dieses Buches abhalten lassen, warnen die Rezensenten, die allesamt Daniel Everetts Buch mit Begeisterung gelesen haben. Für sie war "Das glücklichste Volk"nicht nur der Forschungsbericht eines Linguisten, sondern zugleich auch philosophischer Essay und Abenteuerroman in einem und eigentlich nur mit Claude Levi-Strauss' "Traurigen Tropen" vergleichbar. Everett ist 1977 mit Frau und Kindern als Sprachforscher und Missionar in das brasilianische Amazonasgebiet gereist, um die Sprache der Piraha lernen, die er mit einer Bibelübersetzung beglücken wollte. Es kam anders, der Missionar wurde bekehrt. Er lernte die Sprache der Piraha, machte sich mit ihren Gebräuchen und ihrer Lebensweise vertraut - und verabschiedete sich selbst von seinem christlichen Glauben und seiner Mission. "Aufschlussreich, unterhaltsam, spannend und den Blick weitend", fand Harald Eggebrecht in der SZ, was er alles über die Piraha gelernt hat, zum Beispiel dass sie für verschiedene kulturelle Funktionen unterschiedliche Sprachkanäle haben: eine Pfeifsprache, Summsprache, Schreisprache, musikalische Sprache und normale Sprache. Außerdem schlafen sie wenig, weil es aufregender ist, wach zu sein. In der FAZ zeigte sich Karl-Heinz Kohl sehr fasziniert von dieser gerade mal 500 Menschen umfassenden Volksgruppe, die allen Anfechtungen der Moderne bisher getrotzt und kaum einen Begriff von Vergangenheit und Zukunft habe, stattdessen ganz im Hier und Jetzt lebt.

Schnitt. 

Wenn es Außerirdische gibt, groß wie Bakterien und hundertmal intelligenter als wir -- was werden sie von uns verstehen? "What is it like to be a bat?" (Gibt es neuerdings auch auf Deutsch im Netz!) Immer wieder mal lesen. Und eigenständig darüber nachdenken. Vielleicht einfach mal in diese Richtung: Ich verstehe meinen Hund, und er versteht mich. In bestimmten Punkten. Und in anderen kann ich nie in seine Welt eindringen und er nicht in meine. Was weiß mein Hund vom Nobelpreis? Und wie ist ein Leben beschaffen, wenn man so differenziert riechen kann wie ein Hund?

Wir werden es nie erfahren. Jedenfalls nicht in der uns geläufigen Welt.

Ob die Piraha glücklich sind? Wenn ein Kind zweisprachig aufgewachsen ist, in beiden Kulturen, dann reden wir noch einmal über diese Frage. Ohne den Anspruch zu erheben, dann schon eine Antwort auf die Frage zu haben.