Sonntag, 20. August 2017

Religion, Grausamkeit und Krieg

Das Wikipedia-Café ist ein Ort der Inspiration! Im Internet-Zeitalter ungefähr das, was für die Wiener Literaten ihr Kaffeehaus war. Jetzt mal wieder eine Einlassung meinerseits:

Verblendete von Religionen sind für gut 80-90% aller Grausamkeiten der Weltgeschichte verantwortlich, aber ich soll an mir arbeiten? Da haben wir es doch schon: Kaum fühlt sich einer (Du als Gottes Burgmanne?) auch nur ansatzweis ein seinem Aberglauben in Frage gestellt ist die Aggression gegen Andersdenkende nicht weit. qed! Benutzerkennung: 43067 20. Aug. 2017

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"Verblendete von Religionen sind für gut 80-90% aller Grausamkeiten der Weltgeschichte verantwortlich ..."

Jetzt mal ungewohnt ernsthaft: Ich gehe, was diese ja ziemlich verbreitete These von den 'schlimmen Religionen en gros' angeht, seit geraumer Zeit mit folgendem Hinweis auf Reisen: 1. Das mit den Prozentzahlen sollte man einfach lassen. Suggeriert Pseudo-Exaktheit, wo keine ist. Wie sollte man so etwas messen können, wenn Religion und Macht in Schlieren ineinangerlaufen? 2. Religion ist im Kern eine spirituelle Größe, ohne Macht und Krieg. Religionen reagieren auf die Tatsache, dass wir sterben müssen und mit unserer "Geworfenheit" nicht so recht wissen, wozu das Leben gut sein soll. (Das gegenwärtige Weltbild des aufgeklärt-wissenschaftlichen Westens enthält zwei sich widersprechende Komponenten: a) der naturwissenschaftliche Anteil wirkt verstärkend: Der Kosmos als unverstandene Brühe von Supgergalaxien. Nur die, die sich immer rasch zufriedengeben, streicheln sich da satt über den Bauch und schlafen zufrieden ein. b) Kernsatz: "Der Konsum gepaart mit wohlfeiler Egozentriertheit ist mir Lebenssinn genug! Was sollte mir denn da noch fehlen?!") 3. Anthrophologische Konstante: In jeder Bewegung, die Wichtiges im Leben anspricht, springen sogleich die "politischen Naturen" herbei, also diejenigen unter den Menschen, die die Fähigkeit haben, Machtstrukturen aufzubauen. Sie wittern bei jeder an sich guten Sache den Erfolg für ihre Art zu leben und zu denken. Dass es darum geht, Macht zu haben, ist ihnen Dogma und Gesetz. -- 4. Schlussfolgerung: Im Jahr der Analytischen Philosophie sollten deliberativ veranlagte Menschen lernen, 2. und 3. auseinanderzuhalten. -- Ok, ich sammle Anhänger für diese Einsicht! Bitte melden, wenn Zustimmung.

Mal schauen, ob jemand zu meinen Thesen Stellung nehmen mag.

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Stellungnahmen? Ja, es ging ganz schnell.

Wo kann ich unterschreiben? Sollte unter denkenden Menschen in der Tat eine Selbstverständlichkeit sein. Grüße Dumbox

2) und 3) analytisch auseinanderzuhalten dürfte kaum Schwierigkeiten bereiten, es klappt aber in der Praxis nicht. Prämisse: Gäbe es diese Idiotie bei 2) nicht, würde 3) nicht funktionieren und die Welt wäre gleich ein besserer Ort. Benutzerkennung: 43067

Mit der Darstellung der beiden Gegensätze unter 2) bin ich überhaupt nicht einverstanden. Atheisten sind nicht per se leicht zufriedenzustellen. Lediglich in der Frage nach dem Sinn ihres Lebens und ihres Platzes im Kosmos sind sie einstimmig der Meinung, dass schon die Stellung der Frage sinnlos ist und dass das Leben (schlafraubende) Probleme genug mit sich bringt. Man kann auch ein selbstreflektierter konsumkritischer Mensch sein, ohne dass man zugleich einer simplen Welterklärungslehre aus einem Jahrtausende alten Märchenbuch anhängen muss. --Gretarsson 

"Verblendete von Religionen sind für gut 80-90% aller Grausamkeiten der Weltgeschichte verantwortlich ..."
Die Auseinandersetzungen der Neuzeit hatten überwiegend säkulare Gründe, daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass hier überhaupt 10% erreicht werden, schon allein deshalb, weil früher einfach weniger Menschen lebten. Und auch früher hatten die Kriege immer eine säkulare Komponente. Der dreißigjährige Krieg z.B. hätte nicht so lange gedauert, wenn es das damalige Geschäftsmodell der Söldnerarmeen nicht gegeben hätte, die aus der Kriegsbeute bezahlt wurden. --2003:E4:2BC0:E47B:C110:1AB6:74A7:5988

@Benutzerkennung:43067 "Gäbe es diese Idiotie [Plural?] bei 2) nicht, würde 3) nicht funktionieren und die Welt wäre gleich ein besserer Ort." -- Halte ich für etwas monomanisch auf Religionen ausgerichtet. Überhaupt das Monokausale, das gleich neben dem Monomanischen siedelt, es hilft in der Regel nicht weiter! -- Gegenargumente meinerseits, kombiniert mit @IP "Die Auseinandersetzungen der Neuzeit hatten überwiegend säkulare Gründe": 1. Ob es überhaupt die Religion an erster Stelle oder doch nicht die Kombination mit anderem oder gleich: ganz Anderes war und ist, muss noch erhoben werden. a) reine Macht- / Territorial- und Wirtschaftskriege (der Alte Fritz gegen Maria Theresia; Napoleon gegen Resteuropa), b) Wirtschafts- und Ideologiekriege (Amerikanischer Bürgerkrieg), c) Wirtschafts-, Rassen- und sonstige Ideolgiekriege (Kolonialkriege, Hitlerei), usw. 2. Meine These: Hätte es keine Religionen gegegeben / gäbe es keine Religionen, dann träten andere Gründe gewiss an die Religion-Stelle, soweit diese überhaupt betroffen ist. (Also: Ja, ich akzeptiere, dass es extrem religionslastige Kriege = meinetwegen: Religionskriege gab (die Kreuzzüge, der 30jährige Krieg); allerdings: mein Religion&Mächtige-Herbeispringen-Argument von oben bitte nicht außer Acht lassen!)

@Dumbox Danke! Ich nehme das mal als Unterschrift. :-)

Nachtrag: Ich bin mit der Islamisten=Verlierer-Erklärung Enzensbergers, die er nach 9/11 geschrieben hat, nicht vollständig zufrieden, aber man sollte sie nicht einfach außer Acht lassen (vgl. Enzensberger: SchreckensMänner. Versuch über den radikalen Verlierer. 2006) Meine Paraphrase: In der islamischen Welt, soweit sie zum Islamismus neigt, kommen zwei Dinge zusammen: eine extreme Männer-Stolz-und-Ehre-Ideologie und eine große Zurückgebliebenheit in Sachen Wissenschaft und Wirtschaft. Daraus bildet sich dieses terroristisch-explosive Gemisch der Männer, die sich immer nur als Opfer sehen, ohne auf eine eigene Schuld blicken zu können. Sie sind ja doch einfach stolze Krieger! Man muss sachlich dagegenhalten: "Werdet wissenschaftlich und wirtschaftlich erfolgreicher, dann geht es euch besser. Um das zu erreichen, gehören so seltsame Dinge wie -- ja nun: westliche Bildung einfach mit dazu. Kriegt ihr das nicht hin, bleibt ihr die Abgehängten."

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Nachtrag 2: @Gretarsson 

"Mit der Darstellung der beiden Gegensätze unter 2) bin ich überhaupt nicht einverstanden. Atheisten sind nicht per se leicht zufriedenzustellen. Lediglich in der Frage nach dem Sinn ihres Lebens und ihres Platzes im Kosmos sind sie einstimmig der Meinung, dass schon die Stellung der Frage sinnlos ist und dass das Leben (schlafraubende) Probleme genug mit sich bringt."

Kann ich gut verstehen, diese Sätze. Meine Antwort: Ja, es gibt, was die Sache Lebenssinn & Spiritualität angeht, offenbar einfach unterschiedliche Temperamente. Du formulierst den einen Part, ich den anderen. Da steht wohl Aussage gegen Aussage. Es gibt eben Menschen, die unterschreiben: "Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen!" (Das Ausrufezeichen ist von mir.) Die anderen sehen das anders: "Worüber man nicht schweigen kann, darüber muss man reden." Ich bin gegen Redeverbote in Sachen 'letzte Dinge & letzte Fragen'. Ansonsten: Peace!