Wert, dass man es weitergibt. Im heutigen ZEIT-Magazin. (Demnächst wahrscheinlich allgemein zugänglich. Hier über mein Abo.)
--
"Wir sehen nur, was wir sehen wollen. Kürzlich las ich eine Kolumne, in der ein Kollege einen Vorfall im Berliner Nahverkehr beschrieb. Eine Frau mit drei Kindern versuchte, einen Bus zu bekommen, der noch an der Haltestelle stand, die Türen des Busses waren bereits geschlossen. Kurz bevor die Familie die Tür erreichte, gab der Fahrer Gas, statt ein paar Sekunden zu warten und die Tür noch mal zu öffnen. Weil die Familie offenbar einen Migrationshintergrund hatte, schrieb der Kollege von "alltäglichem Rassismus", für den dies ein weiterer Beleg sei. Mir selber ist so was an Haltestellen allerdings auch schon ein paarmal passiert, ich wäre nicht auf die Rassismus-Idee gekommen. Ich hätte gedacht: "So sind sie halt, die sadistischen Berliner Busfahrer", was natürlich auch zu pauschal ist. So was würde ich höchstens denken und natürlich niemals schreiben. Jemand von der Gewerkschaft hätte aus dem Vorfall sicher eine Geschichte über die psychische Überlastung der Busfahrer gemacht, eine Feministin etwas über Männergewalt, der Sprecher des Kinderschutzbundes etwas über die Kinderfeindlichkeit, und einer von der AfD hätte vielleicht darüber gewettert, dass Südländer immer unpünktlich kommen. Wir sortieren alles, was wir sehen, sofort in unser Weltbild ein. Was wirklich in dem Busfahrer vorgegangen ist, weiß niemand. Vielleicht hatte er übles Sodbrennen und hasste deshalb die ganze Welt."
--
Martenstein for President!