Das mal als Ganzes. Die Wikipedia, so wie lacht und lustig ist.
Vielleicht später mal ins Wikipedia-Café Deutschland.
LITERATUR Philip Roth und sein bizarrer Streit mit Wikipedia | Von Hannes Stein | Veröffentlicht am 09.09.2012 || ... Roth ist der bedeutendste lebende Schriftsteller Amerikas. Nun streitet er mit Wikipedia über seinen Roman „Der menschliche Makel“. Es geht darum, wer wirklich Sex mit einer Putzfrau hatte. || Ein Schriftsteller schreibt an eine Webseite: „Liebe Wikipedia“, heißt es in einem Offenen Brief, der auf der Internetplattform der Zeitschrift „New Yorker“ veröffentlicht wurde, „ich bin Philip Roth. Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, zum ersten Mal einen Wikipedia-Eintrag zu lesen, in dem es um meinen Roman `Der menschliche Makel´ geht. In dem Eintrag gibt es eine Aussage, die ernsthaft falsch ist – ich hätte gern, dass sie entfernt wird. Diese Aussage entstammt nicht der Welt der Wahrhaftigkeit, sondern dem Geplapper des literarischen Gerüchts – sie enthält kein Gran Wahrheit.“ „Spooks“ – ein rassistisches Schimpfwort In „Der menschliche Makel“ erzählt Philip Roth die Geschichte des Literaturprofessors Coleman Silk, der am Athena College lehrt, einer fiktiven Bildungsanstalt in Massachusetts. Während eines Seminars spricht Coleman Silk von zwei Studenten, die sich zwar in sein Seminar eingeschrieben haben, dort aber nie aufgetaucht sind; ironisch fragt er, ob es sich bei diesen zwei vielleicht um Geister („spooks“) handelt. In der deutschen Fassung wurde das mit „dunkle Gestalten“ übersetzt. Was Coleman Silk nicht weiß, nicht wissen kann: Jene zwei Studenten sind schwarz. Und „spooks“ ist ein verächtliches Wort für Schwarze – nicht ganz so schlimm wie „nigger“, aber doch schlimm genug. Coleman Silk wird zum Opfer einer fanatischen Kampagne der politisch Korrekten. Die tragische Seite der Angelegenheit: Coleman Silk ist selbst ein Amerikaner afrikanischer Herkunft, nur weiß das niemand. Wer war Anatole Broyard? In dem Wikipedia-Eintrag, um den es hier geht, heißt es, der Roman von Philip Roth sei „angeblich vom Leben des Schriftstellers Anatole Broyard beeinflusst“. Broyard, ein bekannter New Yorker homme de lettres, der aus New Orleans stammte, hatte im wahren Leben jenen prekären Drahtseilakt von der schwarzen auf die weiße Seite vollbracht (erst nach seinem Tod kam heraus, dass er kreolischer Herkunft war). ... Aber, so schreibt Philip Roth, der so ziemlich alle wichtigen Literaturpreise der Welt gewonnen hat und auch jedes Jahr wieder als Nobelpreiskandidat gehandelt wird, nun in seinem Brief, er habe den Mann ja nur ganz flüchtig gekannt! Als Kind habe er mit ihm gespielt, und viele Jahrzehnte später, nachdem Broyard an Krebs erkrankt war, habe er einmal mit ihm telefoniert; das war alles, das war es schon. Das wahre Vorbild: Melvin Tumin Der Kern, um den herum „Der menschliche Makel“ gebaut war, sei ein ganz anderer. Der Vorfall, der dort Coleman Silk passiert, sei in der bitteren Wirklichkeit Roth' Freund Melvin Tumin zugestoßen, einem Soziologieprofessor in Princeton. Tumin bezeichnete im Jahre 1985 zwei abwesende Studenten als „spooks“, ohne zu wissen, dass die Tönung ihrer Epidermis schwarz war; hinterher wurde er als Rassist einmal quer über den Campus gejagt – dies, obwohl er zu den Veteranen der Bürgerrechtsbewegung gehörte. Freilich war Melvin Tumin das, was Coleman Silk zu sein nur behauptet: weiß und jüdisch. Dass sein Protagonist eigentlich und insgeheim ein Schwarzer ist, hat der Schriftsteller sich ganz allein ausgedacht. Durch einen Fürsprecher, schreibt Philip Roth, habe er Wikipedia ausrichten lassen, dass das Gerücht, ihm habe Anatole Broyard als Vorbild gedient, Quatsch mit Soße sei. Wikipedia habe in einem Brief vom 25. August geantwortet: Philip Roth sei keine glaubhafte Quelle. „Ich verstehe Ihren Standpunkt, ein Autor sei die höchste Autorität, was sein eigenes Werk betrifft“, heiße es in jenem Schreiben, „aber wir benötigen Sekundärquellen.“ Das ist dermaßen herrlich unverschämt, dass man nun beinahe geneigt ist, diese Antwort ihrerseits für ein Produkt der blühenden Phantasie von Philip Roth zu halten. Aber wir ahnen dunkel: Der Brief ist echt. Die Wikipedia-Bürokraten Die bürokratische Erbsenzählereimentalität der Herrschaften von Wikipedia ist offenbar beachtlich. Sie sind der Autor und wollen hier mitreden? Ziehen Sie eine Nummer, Herr Roth, und stellen Sie sich hinten an! Außerdem brauchen wir von Ihnen eine Bestätigung, bitte notariell beglaubigt mit Stempel und Unterschrift. Nun ist ja wahr, dass Schriftsteller nicht die letzte Instanz sind, was die Interpretation ihrer Werke betrifft („Trau nicht dem Autor, trau dem Text“, lautet darum eine literarkritische Grundregel); aber die meisten Schriftsteller wissen doch noch ganz gut, wie das grobe Sandkorn aussah, um das herum sie eine Perlmuttschicht nach der anderen gelegt haben, bis am Ende die glänzende Perle der literarischen Erfindung in der offenen Muschel lag. Ein Lehrstück über Literatur und Leben Darum ist die Antwort von Philip Roth auch ein Lehrstück über die komplizierten Beziehung zwischen Kunst und Leben. „Um ein ganzes Buch über jemanden zu schreiben“, sagt der Schriftsteller, „muss man sich sehr für diesen Jemand interessieren“ – und er habe sich, pardon, nun einmal nicht besonders für Broyard interessiert (über dessen Identitätswechsel er übrigens noch gar nichts wusste, als er „Der menschliche Makel“ schrieb). „Für den Romancier ist das Schreiben von Romanen ein Als-Ob-Spiel.“ Der Fall seines Freundes Melvin Tumin sei in diesem Spiel nichts weiter als ein wahrer Kern gewesen, ein Ansatzpunkt – von ihm sei Roth dann aber immer weiter fortgeschritten, um seinem Helden einen familiären Hintergrund anzudichten, außerdem verschiedene Jugendfreundinnen, ferner eine kurze Karriere als Boxer, auch eine Ehefrau, eine Affäre mit einer Putzfrau (die in der Verfilmung von Nicole Kidman gespielt wurde) und eine Schwester namens Ernestine, die endlich zu seinem strengsten Richter wird – „und noch einmal 5000 dieser biografischen Bruchstücke, die, zusammen genommen, jene fiktive Gestalt ergeben, die im Zentrum eines Romans steht“. Sincerely. Hochachtungsvoll. Soll heißen: Hört auf, euch zu Literaturdetektiven aufzuschwingen, und lernt lieber die schwierige Kunst des Lesens. Vier Kritiker sollen schuld gewesen sein Postscriptum: Die gestrengen Herrschaften von Wikipedia haben den Eintrag mittlerweile geändert. Sie zitieren jenen Passus aus Philip Roths Brief, in dem er von seinem Freund Melvin Tumin spricht. Die Schuld an dem falschen Gerücht, in „Der menschliche Makel“ werde der Fall von Anatole Broyard verhandelt, schiebt Wikipedia vier namhaften amerikanischen Literaturkritikern zu. Ob diese Vier vorher auch Zweitgutachten beibringen mussten? © Axel Springer Alle Rechte vorbehalten.