[...] Bei Claas Relotius verfließen alle Sphären. Er sagte, am vergangenen Donnerstag, "Heim in die Hölle", die Geschichte einer furchtbaren Besserungsanstalt, in der viele Jahre lang Kinder gequält wurden, sei eine recherchierte Geschichte, im Gespräch mit Opfern und Zeitzeugen und Besuchen vor Ort sauber erarbeitet. Dasselbe sagt Relotius von "Gottes Diener", erschienen im SPIEGEL im Februar 2015. Der Text ist ein politisches Porträt des Gynäkologen Willie Parker, der im US-Bundesstaat Mississippi als letzter Arzt noch Abtreibungen ausführt. Aber kann das, mit dem neuen Wissen um Relotius' Verhältnis zur Wirklichkeit, wahr sein? Dass es im ganzen Staat Mississippi nur noch einen Arzt gibt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt? Und dass dieser Arzt dann auch noch eine Wandlung vom Saulus zum Paulus hinter sich hat, weil er einst selbst ein Gegner der Abtreibung gewesen sein soll? Fragwürdigkeiten stellen sich sofort ein, sobald man einmal anfängt, sie zu suchen. Wer arglos liest, merkt nicht weiter auf. Wer das Falsche sucht, wittert es bald überall. Es gehört zur Grundausstattung des Menschen, im Umgang mit Wahrheit und Wahrscheinlichkeit erstaunlich großzügig zu sein, solange kein Grund zum Zweifeln besteht. (spiegel.de)
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Ich bleibe hier hängen:
"Dass es im ganzen Staat Mississippi nur noch einen Arzt gibt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt? Und dass dieser Arzt dann auch noch eine Wandlung vom Saulus zum Paulus hinter sich hat, weil er einst selbst ein Gegner der Abtreibung gewesen sein soll?"
Dass der Abtreibungsgegner der Saulus ist, der Abtreibungsarzt aber der Paulus, also der christliche, fortgeschrittene, bessere Mensch, das muss man erst mal erklären. Und das einfach vorauszusetzen -- ja nun, lieber SPIEGEL, vielleicht beginnt da die Kunst des subtilen Fälschens?
Merke: Die eigene Bildlichkeit nicht im Griff zu haben, das ist ein großes Problem.
Merke: Die eigene Bildlichkeit nicht im Griff zu haben, das ist ein großes Problem.
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