Sonntag, 1. Oktober 2017

"Alles ist besser als noch ein Tag mit dir" > 0


Manchmal bekenne ich mich nach ein paar Sätzen schon zur Verehrung für einen Text. Und im gewissen Sinn auch für den Autor des Texts. Jetzt haben ich wieder so einen Fall vor mir. Jan Fleischhauer, den habe ich, weiß der Herr warum, immer für einen SPIEGEL-Jungspund und seine Kolumnen habe ich für Jungspund-Kolumnen gehalten. Seit gestern weiß ich, der Mann ist 55. Am Samstag habe ich im Seinen Auszug aus einem Buch von Fleischhauer gelesen. Ich wusste sofort: Wer so über etwas ganz und gar Persönliches schreiben kann, so balancierend auf des Messers Schneide, links die Rührseligkeit und rechts die Peinlichkeit, der ist ein Großer seines Fachs. Vielleicht sogar ein großer Schriftsteller.

"Ich habe mich im Som­mer vor sechs Jah­ren von mei­ner Frau ge­trennt. Na ja, das stimmt nicht ganz. Mei­ne Frau hat sich von mir ge­trennt, was die Sa­che für mich nicht ein­fa­cher mach­te. Es war eine scho­ckie­ren­de Er­fah­rung, die ich nicht mei­nem ärgs­ten Feind wün­sche. Noch heu­te schre­cke ich manch­mal nachts mit dem Ge­dan­ken auf, dass al­les wie­der von vorn be­ginnt. | Ich habe mei­ne Frau sehr ge­liebt, ein Teil von mir liebt sie ver­mut­lich noch im­mer. Ich dach­te, wir wür­den bis zum Ende zu­sam­men­blei­ben, trotz al­ler Schwie­rig­kei­ten, die un­se­re Ehe mit sich brach­te. Heu­te le­ben wir in zwei Städ­ten: ich in Mün­chen, sie in Frank­furt, bei­de gleich weit von un­se­rer ehe­ma­li­gen Ber­li­ner Woh­nung ent­fernt, die jetzt ei­ner net­ten äl­te­ren Dame ge­hört, von der ich nicht mehr weiß, als dass ihr On­kel Vic­co von Bü­low war, den die meis­ten Men­schen un­ter sei­nem Künst­ler­na­men Lo­ri­ot ken­nen. Für vie­le Men­schen ist eine Schei­dung die größ­te Ka­ta­stro­phe in ih­rem Le­ben, sie wis­sen es wie ich am An­fang nur noch nicht. Kein an­de­res Er­eig­nis hat, wenn es ei­nen schließ­lich er­eilt, solch ver­hee­ren­de Aus­wir­kun­gen, von schwe­ren Un­fäl­len und Krank­hei­ten ein­mal ab­ge­se­hen. Al­les, wor­auf sich das ge­wohn­te Le­ben grün­de­te, wird mit ei­nem Schlag in­fra­ge ge­stellt. Ver­lo­ren ist die ge­sell­schaft­li­che und emo­tio­na­le Si­cher­heit, die eine Ehe mit sich bringt, selbst wenn sie un­glück­lich ver­läuft. Vie­les, was bis da­hin selbst­ver­ständ­lich er­schien, muss neu er­lernt wer­den. Fi­nan­zi­ell droht der Ruin."

Fleischhauers Buch erscheint morgen. Ich habe es mir als E-Book vorbestellt. Was ich mir erhoffe? Vor allem: Dass ich mehr über die Frau erfahre, die diesen Satz gesagt hat: "Alles ist besser als noch ein Tag mit dir." Natürlich wird alles durch die Perspektive des Mannes gebrochen sein. Aber er wird sich bemühen, seiner Ex-Frau gerecht zu werden. Das immerhin. Ab morgen also lese ich das Ganze.