Dienstag, 17. Oktober 2017

Flaubert-Briefe

Vormals hat der SPIEGEL keine Autoren unter die Artikel gesetzt; alles war "die Redaktion". Heute ist das ja anders. -- Ich bin auf der Suche. War es nicht Gustave Flaubert der mit dem Leichenhaus, der Friedhofskapelle oder sonstwas? Nicht Balzac? Ich stoße auf einen SPIEGEL-Artikel. Flaubert-Briefe wurden 1964 auf Deutsch herausgebracht ...

"Flaubert mietete sich seine lang ersehnte Pariser Wohnung. Er verbrachte jährlich mehrere Wintermonate in der Hauptstadt, wurde von Napoleon III. zum Ball in die Tuilerien eingeladen und - auf Betreiben der von ihm leidenschaftlich verehrten Prinzessin Mathilde Bonaparte - zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. In Croisset hingegen blieb alles beim alten. Zwar hatte er nach der Veröffentlichung der "Madame Bovary" die Schreibtisch-Sklaverei eines halben Jahrzehnts bagatellisiert: "Die Arbeit hat dazu gedient, meine Hand geschmeidiger zu machen; nun auf zu anderen Übungen!" "Aber die Hand blieb auch bei den folgenden Exerzitien schwer, bei dem Roman "Salammbô" (fünf Jahre Arbeit) wie bei der zweiten Fassung der "Education sentimentale", der "Erziehung des Herzens" (sechs Jahre Arbeit), und dem Roman "Bouvard et Pécuchet" (sechs Jahre Arbeit). Denn Flaubert ("Im Grunde bin ich ein Deutscher! Erst durch meine Studien habe ich mich von all meinen nordischen Nebeln gereinigt") liebte nicht nur die "Werke, die nach Schweiß riechen". Er wußte auch: "Wir Schreiberlinge alle ... sind von einer ungeheuerlichen Unwissenheit." Um dieser Unwissenheit abzuhelfen, reiste er wochenlang durch Tunesien und studierte, halb Archäologe, halb Landvermesser, den Schauplatz seines Karthago-Romans "Salammbô". Für seine "Education sentimentale" besuchte er Bestattungsunternehmen und Devotionalienläden und beobachtete diphtheriekranke Kinder im Hospital. Er verschlang immense Massen an Lesestoff und klagte: "Was mich betrifft, so habe ich mir den Magen mit Schmökern verdorben. Ich rülpse Folianten." Flaubert wollte um jeden Preis eine vollkommene Kunst - eine Literatur, die sich dem Leser so unpersönlich darbieten sollte wie ein Stück Natur. Er tat die genialen Schludrigkeiten seines Vorläufers Honore de Balzac ab ("Was für, ein Mann wäre Balzac gewesen, wenn er hätte schreiben können") und fand, "daß ein Romancier nicht das Recht hat, seine Meinung über irgend etwas auszudrücken. Hat der liebe Gott jemals seine Meinung gesagt?" Freilich, sosehr Flaubert sich als Autor in seinen Büchern auch verbarg, - in seinen spontanen nächtlichen Briefen hielt er mit drastischen Meinungen nicht zurück. Er verfluchte die Buchdruckerkunst als "eine der dreckigsten Erfindungen der Menschheit"; er stöhnte: "O, die Literatur! was für ein ständiger Juckreiz ...! Es tut mir unaufhörlich weh, und ich kratze mich mit Wonne"; er schmähte die Menschheit, Frankreich und den Bourgeois, seinen Leser: "Die Menschheit wimmelt auf dem Globus umher wie ein dreckiger Schwarm von Läusen auf einem großen Erdklumpen." || 30.09.1964 FLAUBERT-BRIEFE. Tinte trinken