Samstag, 10. Januar 2009

Vom Umgang mit der Fachsprache

Ich finde folgenden kleinen Dialog, als ich nach dem Stichworten "Strom Phase" suche. Aus dieser Unterhaltung lässt sich so einiges Linguistische ableiten.

Hallo!
Als Nicht-Elektriker hätte ich folgende Frage. In einem Haus mit ziemlich alter Elektroinstallation habe ich die Feststellung gemacht, dass ich mit meinem Testgerät (ich halte
es bei irgendeiner Steckdose auf Phase und Erdung) eine Stromanzeige habe.
Ist das normal?
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Hallo Peter!
Ich hoffe mal, dass Du nur, WEIL Du NICHT-Elektriker bist, sagst, Du hättest eine >STROM<-Anzeige...?  Jedes Messgerät würde sich 1. nach Deiner Beschreibung nämlich in Rauch auflösen... egal, wie alt oder neu die Installation...  Ich nehme also 2. mal an, Du meinst "Spannung"!? Dabei solltest Du allerdings wiederum IMMER ca. 230-235V messen, also nehme ich jetzt 3. als letztes an, Du misst zwischen Nulleiter und Erde?... Dabei wirst Du auch eine (geringe) SPANNUNG messen, je nachdem, wie weit Du vom Verteiler entfernt bist und wie hoch die gleichzeitig betriebene Last ist. 
Nulleiter und Erde sind im Ursprung verbunden, sollten also theoretisch das selbe Potential haben (sollten NICHT in der Steckdose verbunden sein, da die "klassische Nullung" nicht mehr erlaubt ist und jeder FI-Schutz unmöglich wäre).
Hoffe, ich hab alle Klarheiten beseitigt (guck nochmal nach, worauf Du das Messgerät eingestellt hast und WO Du misst!)
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Zum einen, liebe Fachleute, mach ich jetzt einmal das, was ich -- nicht alle anderen -- eine 'Selbstwidersprüchkeit im Argument' (könnte als contradictio in argumento in die Terminologie der Argumentationstheorie  eingehen). Heißt: Ich mache in meinem Argumentieren genau das, was ich als negativ herausstellen will -- ich gebe mich besserwisserisch. Von einem linguistischen Standpunkt aus. 
Also: Wörter im Alltag bedeuten das, was sich Menschen so drunter vorstellen. (Oder wie good old Wittgenstein sagte: Die Bedeutung entsteht in der Regel durch den Gebrauch der Wörter, ist also, je nach Gebrauch, auch mehr oder weniger unterschiedlich.) Wenn also ein Nicht-Elektriker Strom und Spannung -- nein, nicht verwechselt, sondern in gleicher Bedeutung gebraucht, dann sollte man das erst mal hinnehmen und höchstens höflich darauf hinweisen, dass in der Terminologie der Elektriker da ein Unterschied gemacht wird. Wenn einer sagt, dass er jetzt noch eine Arbeit fertigmachen muss, würden wir nicht gerne hören, dass ein Physiker sagt, Arbeit sei nun mal "Kraft mal Weg" und man könne gar keine Arbeit "fertigmachen".


Metall

Mineral

Chrom

+

-

Cobalt

?

??

Eisen

++

-

Fluor

-

+

Jod

-

?

Kupfer

++

-

Mangan

?

?

Molybdän

??

??

Selen

?

??

Silizium

-

+

Vanadium

??

??

Zink

++

-


Ich gehe noch etwas weiter auf die Sache ein. Ich erinnere mich, dass mich einmal ein Chemiker barsch zurechtwies: Spurenelemente seien -- ich glaube, er sagte tatsächlich: immer Metalle. Das ist aber nicht so wichtig. Wenn ich die folgenden fachlich ausgewiesenen Spurenelemente nehme und nach den Eigenschaften 'Metall' und und 'Mineral' -- das, was als fachliche Kerneigenschaft der Spurenelemente gehandelt wird -- alltagssprachlich unterscheide, dann sieht die Sache so aus:Ich gehe jetzt einmal davon aus, dass ich die Alltagssprache und ihren Hintergrund halbwegs korrekt wiedergebe. (Wobei es 'ganz korrekt' nicht gibt. Hier ist alles statistische Unterscheidung, weil die deutschsprachigen Menschen nicht einheitlich reden und denken.) Die Einteilung ist intuitiv ungefähr verständlich. Zur Sicherheit: Objekt ist ++ = ganz sicher / + = ziemlich sicher / - = ziemlich sicher nicht / -- = ganz sicher nicht / ? = recht unklar / ?? = vollkommen unklar) Wir erkennen: die Unterscheidung in Metalle und Mineralien ist alltagssprachlich alles andere als sicher. Und: Spurenelemente sind für die allermeisten Nicht-Chemiker einfach 'sehr kleine Mengen von Irgendwas, das der Mensch zum gesunden Leben braucht,  in der Nahrung'. Egal was das Irgendwas chemisch tatsächlich ist. 
Eine weigere Folgerung, ein Wunsch ist mit diesen Überlegungen verbunden: Wer Fachmann ist forumuliere doch bitte: "In der Fachsprache der Physik / Chemie / ... versteht man unter XY ja ..." Und also nicht XY ist ... Letzteres ist nämlich linguistisch falsch. Nicht ist irgendwas, wir benennen in unterschiedlichen Gruppen und Schichten die Dinge nämlich unterschiedlich, und im Alltag treffen wir uns im Nebelwald der Wörter.
Ach, und noch was: Natürlich kann man von Fachleuten viel lernen. Wer also allgemein verständlich erklärt, was der Unterschied zwischen Strom, Spannung und Phase ist, der hat dem Fragenden einen echten Dienst erwiesen. Oder anders rum: Fachleute, die nicht besserwisserisch auf ihrem Fachwissen herumreiten, sondern ruhig sagen, warum, d. h. mit welchem Vorteil in der Benennunggenauigkeit und Verständigung und mit welchen Konsequenzen für die Messung usw., der Fachmal (auch natürlich: die Fachfrau) diese drei Begriffe unterscheidet, der hat was sehr gutes getan. Was wir also beispielsweise gut gebrauchen könnten, wäre eine klare Einführung in die Haus-Hof-und-Alltagselektrik. 
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Weiterführend: Einteilung von "festen Dingen". Beschäftigt sich die Festkörperphysik eigentlich auch mit der Luft oder, allgemein: den Gasen? Oder nur mit dem, was bei normaler Temperatur, 0 - 40 Grad Celsius fest ist? 
Die alte Sache mit dem Wal der angeblich kein Fisch ist. Manche Behauptungen und Sprachregelungen der Fachleute diffundieren in die Alltagssprache hinein, andere nur teilweise oder gar nicht.

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