Im Radio, Deutschlandfunk, ein Gedicht. Wie schön, dass es so etwas noch gibt.
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LYRIKKALENDER
21.12.2009schon faul!
Von Heidi Pataki
der satzgegenstand stinkt aus dem maul
das beiwort hat schuppen
das zeitwort bohrt in der nase
die aussage ist unpäßlich
der inhalt vergaß sich die füße zu waschen
die form hat angeknabberte fingernägel
das wörtlein ewig schmatzt furchtbar laut
das fürwort kennt ein hausmittel gegen flöhe
die bedeutung lässt sich nicht lange bitten
2000 jahre christliches abendland
(Schlagzeilen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1968)
Es gehört zu den Voraussetzungen für das Funktionieren unserer alltäglichen Kommunikation, dass unser Sprachsystem selbstverständlich akzeptierten Konventionen folgt. Nicht immer jedoch ist die Ordnung der Grammatik von so großer Klarheit, wie es die Selbstverständlichkeit unserer Alltagsrede unterstellt. In einem kleinen experimentellen Exerzitium hat die Wiener Autorin Heidi Pataki (1940-2006) alle scheinbar neutralen grammatischen Instanzen unseres Sprachgebrauchs auf den Prüfstand gestellt.
Wenn, wie in diesem Gedicht demonstriert, die vermeintlich objektiven grammatischen und semantischen Ordnungen in ein Stadium des Verfalls und des Gestanks übergegangen sind - wie muss es dann erst um die "Inhalte" oder gar Heilsprogramme stehen, die in dieser Sprache transportiert werden? Mit dem sprachskeptischen Verweis auf die wohlfeile Formel von den "2000 Jahren christliches Abendland", die in der Entstehungszeit des Gedichts, den 1960er Jahren, hohe Konjunktur in den Sonntagspredigten hatte, gewinnt Patakis Gedicht auch eine gesellschaftskritische Dimension.
Das Gedicht wurde gelesen von Gabriele Heinz.
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