Montag, 10. Februar 2020

Hans-Ulrich Jörges und Weimar und Höcke

Lieber Herr Jörges,

Sie haben den großen und auch wieder nicht mehr so großen Stern im Rücken und ich meinen winzigen Blog* hier. Die Machtverteilung ist klar und mir bekannt. Unter diesen Voraussetzungen ...

Sie schreiben:

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Christian Lindner hat die AfD in Thüringen freigesetzt – diesen Fluch wird er nicht wieder los Die Wahl Kemmerichs war kein Unfall sondern ein Bubenstück. Annegret Kramp-Karrenbauer konnte sie nicht verhindern, das kostet sie den Vorsitz der CDU. Ein anderer wollte es nicht: FDP-Chef Christian Lindner. ... 10. Februar 2020 || Weimar liegt in Thüringen. Weimar beginnt in Thüringen. Weimar zum Zweiten. Die Analogie ist zwingend, sie schlägt alle Beschwichtigungen. Ende Januar 1930 werden die Nationalsozialisten in Thüringen zum ersten Mal von Bürgerlichen an einer Landesregierung beteiligt, mit zwei Leuten. Der Nazi Wilhelm Frick verfasst einen Erlass gegen die „Verseuchung durch fremdrassige Unkultur“. Adolf Hitler behagt das Experiment auf dem Weg zur Macht.

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Und dann kommt auch bald das:

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"Anfang Februar 2020 macht in Thüringen erstmals die AfD einen Bürgerlichen zum Ministerpräsidenten – unter Führung von Björn Höcke, den man einen Faschisten nennen darf."

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Also ich, ich nehme Herrn Höcke nicht so wichtig. Wir haben -- nein, eben keine Weimarer Republik! Und also: Nein, diese Analogie ist nicht zwingend. Sie ist vielmehr an den Haaren herbeigezogen, weil es sich quasi historisch irgendwie reimt und weil eine ständige Aufgeregtheit Journalisten gut tut. Und bei Ihnen, Herr Jörges, wie bei anderen Zeitungsleuten beobachte ich die Lust am Suhlen. Sich hineinschmeißen in die warme Aufregungsjauche. Selbige ergibt sich nämlich nicht durch ein  Ausscheiden und dann Anrühren von links oder von rechts; nein, sie entsteht als Produkt des Zusammenrührens der wohlfeilen Aufgeregtheiten von allen Seiten.

Also, wir wissen es ja! Sie und ich und wer immer mag, darf Björn Höcke mit gerichtlicher Erlaubnis** einen Faschisten nennen. Ja, klar. Aber -- muss man es dann auch ständig? Ist Ihnen und den anderen nicht bewusst, dass dieses Rühren in den Faschismusassoziationen gleichzeitig die gegenwärtige Aufregungsjauche immer auch ein wenig größer macht? Übrigens auch: Herrn Höcke immer größer macht! Das ist wie in der Werbung: Die Aufmerksamkeit -- die Sie kreieren, ob Sie wollen oder nicht -- ist alles, und dann kommt erst mal lange nichts. Und dann kommt erst Gut und Schlecht.

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* Ja, "der Blog", nicht das Blog! Erläuterungen hier.

** Wobei man das gegenwärtige Sprachgefühl deutscher Richter ja auch von der anderen Seit eher anzweifeln darf:

Laut einem Beschluss des Landgerichts Berlin stellen entsprechende Kommentare "keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen" dar. Unbekannte hatten Künast unter anderem als "Stück Scheiße" und "Geisteskranke" bezeichnet und noch drastischere und auch sexistische Posts geschrieben. Die Bezeichnung "Drecksfotze" bewege sich haarscharf an der Grenze des noch hinnehmbaren [ = Hinnehmbaren, liebe Tagesschau]. Eine Beleidigung liege aber nicht vor, so das Gericht in seinem Urteil. (tagesschau.de)

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