Samstag, 5. Januar 2019

Achthundert Vaginen.

Illegitime Kuckuckseier?ICH

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https://www.zeit.de/1971/27/zweihundertsechundfuenfzig-busen/komplettansicht

Ernsthaft (und da man von einem Kritiker nun einmal erwartet, daß er etwas zu meckern finde): Es steigen einem angesichts dieses Überangebots gewisse Bedenken auf. Borneman: „Ich bitte meine Leser ... mir zusätzliches Material zu senden Unersättlich. Ich hätte mich ja mit den 50 000 begnügt. Aber dann – ich bin kein Gelehrter. Im Gegenteil. Ich erinnere mich nur, ich war einmal mit einer Frau verheiratet, die in Schicklgruberschen Zeiten zur Schule ging. Der Lehrer, der offenbar den Auftrag hatte, das lokale Sprachbrauchtum zu erfassen, ermunterte die kleinen Mädchen zur Mitarbeit. Als der Quell versiegte, versprach er den Kindern für zehn ihm noch unbekannte Wörter eine Mark. Die später meine Frau wurde, wollte aus purer Herzensgüte – so war sie immer – den armen Mann nicht enttäuschen. Sie machte für ihn Wörter – zu seiner Forscherfreude und tiefen Befriedigung. Ein niedriger Verdacht, ich weiß – aber sollten sich etwa auch bei Borneman in seine tausend Penisse und achthundert Vaginen illegitime Kuckuckseier eingeschlichen haben, oder wie immer man das zu nennen hat?

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FEUILLETON | aus FALTER 12/15 vom 17.03.2015

Am Pfingstsonntag, dem 4. Juni 1995, setzte Ernest Borneman seinem Leben mit einer tödlichen Mischung aus Alkohol und Tabletten ein Ende. In den Wochen davor war sein 80. Geburtstag noch groß gefeiert worden. Die unglückliche Liebe zu seiner um 42 Jahre jüngeren Freundin Sigrid Standow sei das Motiv der Tat gewesen, hatte Borneman Journalisten wissen lassen. Er sprach von sexueller Hörigkeit, der er nur durch Suizid entkommen könne. Der bekannteste deutschsprachige Sexualwissenschaftler war stets für freie Liebe eingetreten – und starb einen romantischen Liebestod. Bild und News breiteten die Details genüsslich aus. „Junge Geliebte lief weg. Sex-Papst Professor Dr. Borneman vergiftet sich“ lautete eine Schlagzeile.

20 Jahre nach dem Tod und 100 Jahre nach der Geburt am 12. April 1915 ist Ernest Borneman weitgehend in Vergessenheit geraten, was sich durch eine ausgezeichnete Biografie des deutschen Historikers Detlef Siegfried ändern könnte. Siegfried entwirft das Bild eines schillernden Multitalents, das im Jazz, im Film und in der Geschichte der Sexualität Erstaunliches geleistet hat. Der Exilant und Sozialist Borneman hatte viele Leben.

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Ernest Bornemann. Ende der 80er Jahre hatte ich schon lange meine journalistische Liebe zum Thema Sex entdeckt und freute mich daher ganz besonders, anlässlich einer Ö3-Debatte zum Thema „neuer Mann“ den deutschsprachigen Daddy des Sexpertismus, Herrn Ernest Borneman kennen zu lernen. Borneman (damals 74) kam mit seiner extrem attraktiven, um 42 Jahre jüngeren Geliebten Sigrid Standow ins Studio, was mir imponierte.

Ich hatte ihn in der Folge gelegentlich angerufen, zuletzt 1994, als ich im Zuge einer Recherche über den deutschen „Sterbehelfer“ Hans Henning Atrott erfuhr, dass er Borneman mit einer „Todespille“ versorgt habe. Erzählte mir Borneman: „Meine wunderschöne junge Frau ist meine letzte große Liebe. Wenn sie mich verlässt, was ich verstehen kann, verlässt mich auch mein Lebenswille. Dann will ich sterben.“ Ein Jahr später verließ sie ihn und Borneman nahm die Pille. Konsequent.

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Doch auch in der eigenen Zunft war Borneman umstritten. Er verteidigte die sexuellen Gefühle von Kindern für Erwachsene, was als Freibrief für Pädophile verstanden werden konnte. Menschen mit Beziehungsproblemen gab er den Rat: „Trennen Sie sich doch einfach!” Sein Kollege Volkmar Sigusch nannte ihn den „Ratschläger”. „Er wollte provozieren”, sagt sein Sohn Stephen Borneman.
In den Augen seiner Gegner war Borneman ein egomanischer Schwindler, der eine akademische Laufbahn vortäuschte. So behauptete er, in Cambridge studiert zu haben und ein Schüler des berühmten Ethnologen Bronisław Malinowski gewesen zu sein. Für die Frauenbewegung war der Verfasser von Bestsellern wie „Das Patriarchat” sowieso ein rotes Tuch. Er sah sich als Feminist, wurde aber als linker Patriarch empfunden, als Herrenhandtasche inmitten von Batikblusen. Der geniale Ungustl liebte den großen Auftritt.
Was der Biograf nach gründlichem Studium der Archive an Fakten zusammengetragen hat, rechtfertigt einen milden Blick auf die menschlichen Abgründe. Bornemans Praxis der Tarnens und Täuschens sei eine Überlebensstrategie gewesen, erläutert Detlef Siegfried: „Es war die Haltung gegenüber einer Welt, die sich in großen Teilen als feindlich erwies.” Ernest wächst in einer bürgerlichen Berliner Familie auf, besucht die reformpädagogische Karl-Marx-Schule. Beim Schauspielern im Schultheater lernt er Bertolt Brecht kennen. Kurz vor der Matura kommt Ernest im Sommer 1933 mit einem Kindertransport nach London.

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