Freitag, 18. Januar 2019

Werbung für die ZEIT

Ich werbe auch für die ZEIT, wie ich für alle großen Zeitungen werben möchte! Heute in der ZEIT gelesen: Ein großes Interview mit Walter Riester,* ehemals Minister im ersten Kabinett Schröder.

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Riester: ... Aus heutiger Sicht waren meine Mutter und ich außerordentlich arm. Aber ich habe das nicht so erlebt. Meine Mutter hatte für mich durchgesetzt, dass ich mittags im Waisenhaus essen konnte, doch da war ich nur ganz selten. Ich war die meiste Zeit auf der Straße und habe mich durchgeschlagen. Ich habe gute Erinnerungen daran, auch wenn in meinem ersten Schulzeugnis die Bemerkung stand: Seine Rauflust gibt zu Klagen Anlass.


ZEIT: Ihre Mutter war eine selbstbewusste Frau. Sie hatte sich scheiden lassen, weil Ihr Vater untreu war. Dass eine Frau ihr Schicksal in die Hände nimmt, war zu jener Zeit sehr ungewöhnlich.

Riester: Ja, das war ungewöhnlich. Mit ihrer Einstellung hat sie unglücklicherweise auch auf jeden Unterhalt verzichtet und ging Vollzeit arbeiten, als Maschinenbedienerin an einer Kunststoffpresse, für 90 Mark im Monat.

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Die SPD leidet nicht darunter, dass sie ein Motor der Erneuerung war, sondern darunter, dass sie keine Zukunftskraft mehr ist, weil sie die Vergangenheit nicht bewältigt hat. Damals wäre die Chance gewesen für eine politische Debatte und für politisches Handeln, das dem grundsätzlichen Zeitenwandel gerecht wird, der sich da schon abgezeichnet hat und in dem wir heute voll stehen. Das habe ich in meiner Zeit als Minister so gesehen. Und das sehe ich heute eher noch stärker so.

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ZEIT: Ihre Mutter hat sich sehr abgerackert für ziemlich wenig Geld. Konnten Sie ihr immer erklären, dass der Staat Leute unterstützt, die nicht so viel gerackert haben wie sie?

Riester: Ganz ehrlich: nein. Sie hat das nicht verstanden. Ich habe das auch nicht weiter vertieft. Sie war in ihren letzten Jahren in einem sehr guten Pflegeheim in Kaufbeuren. Und sie hat sich immer wieder darüber aufgeregt, dass die Sozialhilfeempfänger, die auch in dem Pflegeheim waren, die gleiche Leistung bekamen wie sie, obwohl sie nicht so viel gearbeitet hatten.

ZEIT: Kann man Ihre Mutter da nicht verstehen?

Riester: Doch, aber es hilft nicht.

ZEIT: Sie haben nicht versucht, ihr zu erklären, warum das richtig ist?

Riester: Das war nicht vermittelbar.

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* Interview Tina Hildebrandt und Stephan Lebert: Walter Riester. "Ich bin ausgebuht worden als Verräter. Das ist nicht schön". Für manche Sozialdemokraten ist er ein großer Reformer. Andere glauben, er sei mitschuldig am Niedergang ihrer Partei. Der ehemalige Arbeitsminister Walter Riester über eine Kindheit in Armut, die Tränen des Gerhard Schröder – und darüber, was der SPD heute fehlt. DIE ZEIT Nr. 4/2019, 17. Januar 2019. (Online)

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Und was die Werbung für Zeitungen angeht: Das hindert mich nicht daran, zu sehen, dass die Zeitungen in der heutigen Form (Papier, mit geschlossener Redaktion, Verkauf am Kiosk und als Abo) zum Aussterben verurteilt sind. Im Jahr 2025 ungefähr wird es soweit sein.

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