Samstag, 3. Februar 2007

Textsorte Horoskop (gleichzeitig ein Offener Brief an Frau Constantini von der HÖR ZU)

In der Linguistik nennen sich Textgruppen, die etwas Wichtiges gemeinsam haben, "Textsorten". Meistens haben diese Textsorten eine normale alltagssprachliche Entsprechung. Konkrete Horoskope gehören also zu einer -- nein, besser: bilden die Elemente einer Textsorte. Was sind nun die gemeinsamen Merkmale von Horoskopen? Nun, Horoskope sagen, in den Gruppen der Sternzeichen, was über die Zukunft von Menschen voraus. (Dass es inzwischen auch Tierhoroskope für Miez-Mauz und Waldi gibt, lassen wir mal beiseite.)

Voraussagen können, soviel ist klar, unterschiedlich klar und genau sein. Gestaffelt von Vollkommen klar nach Vollkommen unklar ungefähr sieht eine Beispielreihe ungefähr so aus:

a) ABSOLUTE KLARHEIT: Am kommenden Mittwoch wird Sie ein Schulkamerad anrufen, von dem Sie seit ihrer Schulzeit nichts mehr gehört haben. (Ob das am Vormittag, Nachmittag oder Abend sein wird, ist nicht so wichtig. Selbst den Donnerstag Vormittag würden wir noch als Dreiviertel-Treffer ansehen.)

b) MITTLERE KLARHEIT: In der kommenden Woche werden Sie einer interessanten, rothaarigen Frau begegnen. (Wenn nicht: Hab ich die Frau in der U-Bahn vielleicht übersehen und bin selbst schuld, dass die Prophezeiung nicht eintrifft?)

c) ZIEMLICHE UNKLARHEIT: In der kommenden Woche geht Ihnen die Arbeit nicht gerade leicht von der Hand. (Schon sehr in der Nähe der sogenannten self-fulfilling prophecy.)

d) VOLLKOMMENE UNKLARHEIT: In den nächsten Tagen erleben Sie eine Überraschung. (Ja, nun, was ist schon eine Überraschung? Wenn der Briefträger gegen seine Gewohnheit freundlich zurückgrüßt, nachdem ich ihn zuerst gegrüßt habe?!)


Liebe Frau Edda Constantini, vom Horoskop der HÖR ZU!

Nun kommt etwas, was zur einen Hälfte extrem unklar ist und zur anderen überhaupt nicht in die Textsorte HOROSKOP gehört. Sie schreiben mir bzw. meinen Mit-Sternzeichen von der Waage für diese Woche:

"Das Ungewisse, Unentschiedene übt eine große Faszination aus - ..."

Je nun, liebe Frau Constantini! Auf wen übt das Unentschiedene keine Faszination aus. Wohl nicht nur auf die Waage-Menschen. Wenn es denn halbwegs wichtig ist, wohlgemerkt. Ob die Müllabfuhr um 11 Uhr oder um 1/2 12 kommt ist auch unentschieden, aber es fasziniert mich nicht sonderlich.

Wenn es dann entschieden ist, ist es ja kein Unentschiedenes mehr und kann also sowohl vom Sachverhalt wie vom Sprachgebrauch her nicht mehr als Unentschiedenes faszinieren.

"... - solange nichts entschieden ist, scheint alles möglich zu sein."

Tja nun, das kommt auf den Fall an. Um mal ein wenig spitzfindig zu sein: Wenn ich nicht Lotto gespielt habe, sind die Zahlen vom kommenden Samstag noch immer ziemlich offen, aber ausgeschlossen ist, dass ich was gewinne.

Weiter: "Doch diese Einstellung verzögert Abläufe im Job und Alltag langfristig."

Jetzt kommen wir der Sache schon näher! Ich verstehe allmählich. Sie meinen also, ich halte Dinge, die ich entscheiden könnte oder müsste, bewusst in der Schwebe, weil sie, diese offenen Fragen, mich faszinieren? Könnte ja sein. Wenn aber, dann halte ich mich mit Blick auf die Entscheidungen nicht freiwillig zurück. Sondern weil ich psychisch unter Zwang stehen, wie sie wohl selbst schon bemerkt haben.

Ihr Schlussgedanke: "Also raffen Sie sich auf, und treffen Sie Entscheidungen!"

Siehe oben! Wenn Sie, liebe Frau Constantini, mir beim nächsten Mal bitte sagen, wo ich am Mittwoch hingehen muss, damit mir da in all meiner Entscheidungsschwäche geholfen wird, dann wär das was. Sonst aber: Gute Ratschläge und gutgemeint Lebenshilfen dieser Art gehören nicht in ein Horoskop! In meinem Horoskop möchte ich Voraussagen und Warnungen lesen. Warnungen so formuliert, dass ich, wenn ich mich mal bei einer nicht so schwergewichtigen Sache testweise nicht an Ihren Vorschlag halte, nachher überprüfen kann, ob Sie recht hatten. (Am besten ist, nur mal so als Beispiel, so was: Tanken Sie nicht am Mittwoch, sondern erst am Donnerstag! Da wird der Diesel an Ihrer Stamm-Tankstelle um 3 Cent billiger sein als am Mittwoch.)

Der Aufruf, an alle Horoskop-ErstellerInnen: Wagen Sie doch mal wieder konkrete Voraussagen und Warnungen!

Und ganz am Schluss noch die Erinnerungen an jenen Leserbrief, der vor Jahren einmal -- ich bin mir ziemlich sicher: im STERN abedruckt war. Nicht präzise war diese Aussage, sondern eher rückwärtgewandt; aber trotzdem zum Staunen. Da schrieb also eine Dame: Es sei ja doch ein bisschen makaber. Aber ihre Mutter sei immerhin 90 Jahre alt gewesen, und ihre Mutter sei also Ende vorvergangener Woche gestorben. Und im Horoskop ihrer Mutter im STERN habe in der vorigen Woche doch tatsächlich gestanden: "Sie haben etwas hinter sich, das andere noch vor sich haben."

Ein Highlight der Horoskop-Kunst, ohne Frage. Auch wennn es streng genommen auch wieder keine Voraussage, sondern eine nachträgliche Feststellung war, die einen, na ja, sozusagen: Nicht-mehr-Menschen betraf. Aber doch eine auf eigenartige Weise sehr zutreffende und noch dazu sehr schön formulierte und einfach-klare Feststellung. Keine Frage.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen