Freitag, 5. September 2008

Heute peinlich: das SZ-Magazin

Das Magazin der Süddeutschen Zeitung, Nummer 36 vom 5. September 2008, wird in die Geschichte der journalistischen Peinlichkeiten eingehen. In der Kategorie des Peinlichen ganz und gar unterschiedlich, sollte es doch in einem absoluten Ranking gleich nach den Kujau-Hitler-Tagebüchern des STERN zu stehen kommen.
Worum geht es?
Der Titel klingt unverfänglich: "Das neue Amerika. Ein Modeheft."
Das Titelbild ist alles andere als unverfänglich. Um Copyright-Problemen aus dem Weg zu gehen, hier nur eine Beschreibung:* Vier hochgewachsene, sehr dünne webliche Models in Jeans, barfüßig und natürlich ab Gürtellinie nach oben hin nackt. Die rechten drei voluminös lang-dunkelhaarig, das rechts stehende Mächen kurze, hochgewuschelte Haare, blond. Alle vier Mächen von der Seite aufgenommen, den Blick in die Kamera gewendet. Affektiert posierend, dümmlich wirkende Mode-Hochnäsigkeit zelebrierend. Alle vier: kleine bis sehr kleine Brüste. Mädchen Eins hält sich lässig an der Gürtelschnalle -- nein, keine Gürtel --, an der Gürtelschlaufe von Zwei fest, Zwei steckt die Hand nach hinten aus, in die Gesäßtasche des Rücken-an-Rücken-stehenden Mädchens Drei. Räumliche Trennung zwischen Drei und Vier. Ins Bild, zwischen Mädchen Drei und Vier, geschrieben: "Yes, We can!"
Was können die Vier? Sich die Bluse und den BH ausziehen? Erstaunlich!
Ein Sinnbild einer neuen Vanitas sein? Yes, they can!
Das Innere des Hefts. Die Dümmlich- und Geschmacklosigkeiten sind gar nicht aufzuzählen! Drei Highlights nur: "We (der übliche Herz-Kringel) NY". Eine Journalistin, abgebildet. "Szene-Kennerin Plum Skykes", deren Look Langhaar-auf-Auge an die gute alte Emma Peel erinnert: "Bei uns im Vogue-Büro ..." Dann viele Kästchen, seltsam bebildert. Textprobe: "Der Place to be. Im Restaurant 'The Waverly Inn' essen Liv Tyler, Kate Hudson und die Olsen-Zwillinge. Das 'Mercer' hingegen ist nicht mehr so angesagt, die Modeseszene geht jetzt lieber in die Sushibar '15-East' -- fantastisches Essen!"
Später dann, aber immer noch dieser Artikel aus dem Vogue-Büro, auf Seite 44f., über eine Party der Vogue-Chefin Anna Wintour -- Nachname verpflichtet, möchte man sagen: "Socialities reagieren nervös, wenn sie nicht eingeladen werden!" Sie sind nicht beleidigt oder verschnupft, die Socialities, nein, sie reagieren nervös! Modisch und auch sonst Upperclass eben! Selbst wenn die Vogue-Chefin sie nicht einlädt.
In den nächsten beiden Kästchen kommen sie ebenfalls vor, die Socialities. Was muss das für eine Truppe sein! Und wie sollte man das Wort denn übersetzen? Man versteht es ja auf Anhieb. Wohlwollende Übersetzung: die wichtigen Leute. Weniger wohlwollend: die trendsetterischen Wichtigtuer.**
Die Vogue-Chefin ist übrigens abgebildet. Mit dem kopfgeneigten Lächeln eines späten Mädchens, das sie Princess Diana, Gott hab sie selig, abgeschaut hat. Dazu trägt sie ein langes, silbernes, vielfältig gerüscht-gerafftes Kleid mit voluminöser Kurzschleppe und -- Gipfel des Erstaunlichen! --, über den Knien beginnend und im Schoßbereich endend, zwei missgebildet-eingerollte Steinbock-Hörner an den Seiten. Symbole des sich zurückziehend Phallischen wahrscheinlich, mit Gedanken an die in der NY-Szene vormals sicherlich schwer angesagte Doppelpenetration, die aber inzwischen eben schon wieder out ist. (Gab es da nicht mal ein Buch mit dem Titel "Suche impotenten Mann fürs Leben"? In diesem Sinne.)
Haben wir damit den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreicht? I wo! Es gibt noch die vier Titelmädchen, denen wir auf S. 70 wieder begegnen, jetzt frontal zu sehen und natürlich nackt bis auf die Männerunterhosen der stilbildenden Firmen Calvin Klein und Konsorten.
Und jetzt aber, drittens! "Rühmen, das ist's!" Da wollen wir mal kräftig Wind machen! Damit derlei journalistische Glanzleistung nicht in Vergessenheit gerät.
Fett gedruckte Bibelzitate garniert mit Modemarken-Angaben. Gipfel der Geschmacklosigkeit: Zwei Models in dunklen Kirchenbänken. "Alle eure Sorgen werft auf ihn; denn er sorgt für euch! (1. Brief des Petrus, Kapitel 5,7"). Gemeint ist damit wahrscheinlich die Legitimität des Reichtums der Socialities, hergeleitet aus der Bibel. Darunter: "Top mit Voland und Rock von Prada" Und dann, Achtung! "Rosenkranz von Lulu Frost".
Dass eine Seite später ein Mädchen als Schein-Tote in Blumen und vor einem Altar mit Kreuz und Kerzen aufgebahrt ist, von den Füßen her aufgenommen, "Kleid von Dior, Seidenblumen von Dulken & Derrick", kann einen da, japsend wie man so dasitzt, schon nicht mehr wirklich erschüttern.
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* Wer sich das Bild dann auch noch ansehen will, kann das bis auf Weiteres hier tun. Dort auch einige andere Bilder aus dem Heft.
** Ein Querverweis auf einer Website, auf der ich nachschlage, führt zu einem Britannica-Artikel Social Insect. Das wäre eine prima Übersetzung für Socialities: 'soziale In-Sekten'.

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