Montag, 11. September 2006

Heute vor fünf Jahren

Heute vor fünf Jahren also. Und ausgerechnet die Süddeutsche Zeitung leistet sich eine veritable Geschmacklosigkeit. Hinter dem strahlenden, die Einschaltquoten-Erwartungen nicht ganz erfüllenden Papst-Besuch überschreibt Andrian Kreye seinen Artikel im Feuillleton mit "Tanz den Apokalypso" und erklärt im Untertitel: "[...] Seitdem berauscht sich Amerika am eigenen Untergang".

Wenn man die Formulierungen auch nur etwas genauer besieht, dann wird da erst einmal der Tod von 3.000 Menschen, bewußt herbeigeführt von durchgeknallten Fanatikern, zu einer Feuilleton-Formulierungs-Fingerübung. Was an sich schon daneben ist. Diese im Deutschen hoch gewagte Konstruktion des transitiven tanzen + Personenname, "Tanz den ...", wo kommt sie her? Wer hat sie erfunden?

"Geh in die Knie / und dreh dich nach rechts / und dreh dich nach links / klatsch in die Hände / und tanz den Adolf Hitler / und tanz den Mussolini / und jetzt den Jesus Christus ..."

Zeilen, die erdichtet wurden, um, inhaltlich sinnfrei, via Provokation auf dem großen Schwapp der Medienflut nach oben zu kommen. Es ist wie in der Werbung, wo auch oft Sloganschreiber sich an der eigenen Kreativität berauschen und nur die erste Ebene des Sinns, die des aufmerksamkeit-sichernden Gags, sehen, ohne die zweite und die folgenden Ebenen noch zu erkennen oder erkennen zu wollen. Hier also: Kalypso. Tanzen. Apokalypse. Tanz-den... Wow! Das ist es! Was für eine feine Überschrift. So feinsinnig passend, eingepaßt ins wohlfeile USA-bashing. So ungefähr müssen dem SZ-Menschen die Gedanken durch den Kopf geflutet sein, und er, der Journalist, er filtert nicht, er denkt nicht nach. Er schreibt hin.

Berauscht sich Amerika am eigenen Untergang? Das ist, von der Erkenntniskraft her gesehen, noch weit unter Feststellungen der Sorte: "Der Russe trinkt gerne Wodka." Der Satz mit Amerika trifft auf nichts zu, nicht einmal auf den Präsidenten der USA. Könnte denn nicht jemand kommen und sagen: "Die USA sind ein sehr differenziertes Land. Die politischen Hauptströmungen sind ..." Dann könnte man am Ende gar überlegen, wie es kommt, daß bestimmte europäischen Verallgemeinerungsborniertheiten die USA nicht erreichen und dort also nicht wahrgenommen werden.

Im übrigen, zum heutigen Tag: Zeitungsartikel und Radioberichte, die das individuelle Leid einer Witwe herausstellen, sind wertvoller, weil passender als das Analyse-Gelaber derer, die am Ende doch immer nur Beliebiges aus ihrer Zeitgeistkiste ausbreiten. Manchmal ist die Zeit des Gedenkens, nicht der Klügelei. Das hätte seinerzeit der Bundestagspräsident Jenninger wissen können und heute der Journalist Kreye.

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NACHTRAG: Vielleicht bin ich einfach zu empfindlich. Das "Online-Spezial" des ZDF läßt mich an eine neue Biersorte beim Oktoberfest denken, nicht an eine Gedenksendung oder -seite. Einfach ein bräsiges Wort, dieses Online-Spezial.

Und dann davor und daneben: Die Alternativen an der Zapfsäule! Eine feinsinnige Anspielung darauf, daß es im Leben und also auch beim 11. September doch immer nur um das eine geht: um Öl?!

11. September
Ein Blick fünf Jahre zurück. Online-Spezial mit Ihren Erinnerungen und aktuelle Berichte.



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