Mittwoch, 30. April 2008

Josef Fritzl und die Experten

Wenn so was geschieht, dann wird einerseits pflichtschuldigst berichtet. Kein "Medium" will zurückstehen. Die Leser, Hörer, Zuschauer wollen ja informiert werden. Haben ein Anrecht auf Information. Wo die Grenze zum Voyeurismus überschrtten wurde, lässt sich dann hinterher trefflich erörtern. Das wird immer so sein.

Was aber nervt, wenn schnell "Experten" herbeigezogen werden oder auch bereitwillig herbeihüpfen, um Statements von unsäglicher Allgemeingültigkeit von sich zu geben. Sätze, die jeder halbwegs sprachbewanderte Normalmensch auch von sich geben kann.

Das Beispiel, natürlich eher zufällig ausgewählt:

"Die Opfer von Josef Fritzl müssen nach Überzeugung des Psychologen Klaus Neumann seelische Schäden erlitten haben, die sonst nur bei Kindern in Kriegsgebieten bekannt sind. «Angst, Entbehrung und das fehlende Tageslicht in dem Keller-Verlies haben zwangsläufig tiefe Spuren hinterlassen», sagte der Kindeswohlbeauftragte des Psychologenverbands in München der Deutschen Presse-Agentur dpa."

Das hätte ich, glaub ich, der ich kein Psychologe bin, auch hinbekommen. Bei dem Vergleich mit den Kriegsgebieten hätte ich mich aber sehr zurückgehalten. Genauer: Auf diesen Vergleich wär ich erst gar nicht gekommen. Mir scheint ziemlich klar zu sein, dass es da um höchst unterschiedliche psychische Schäden geht. Aber das ist die Vermutung eines Laien.

Also, ihr Redakteure der unterschiedlichen Medien: Warum nicht einfach mal noch abwarten. Sich seinen Teil denken. Fragen, was, verallgemeinernd gesagt, da schief läuft. Und einen Verdacht darf man dann auch äußern: Eine Gesellschaft, in der Touristen in großem Stil nach Thailand gechartert werden,* wo ein gewisser Prozentsatz dieser Touristen sich an Kindern vergeht, eine Gesellschaft, die so etwas halbherzig "bekämpft", statt mal in sich zu gehen und zu fragen, ob sie als Gesellschaft nicht längst eine Linie überschritten hat, ohne es zu merken -- eine solche Gesellschaft sollte sich nicht wundern, dass es Extremfälle gibt, in denen ein bürgerlich auftretender Vater seine Tochter in der nun bekannten Weise missbraucht. Vom camouflierten Wahnsinn trennt uns halt oft nur die extreme Internalisierung von Verhaltensregeln in Kategorien von Anstand und Menschlichkeit. Dort wo diese Kategorien zur reinen Äußerlichkeit und Anstrichen der Fassade verkommen, ist viel Wahnsinniges möglich.

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* Diese Verbindung gilt übrigens auch im Hinblick auf das eherne Recht westlicher Bürger auf Touristenfernflüge in Zeiten des Klimawandels. Aber gut, das ist nun wirklich ein anderes Thema.