(Raddatz, Fritz J.: Tagebücher 1982 - 2001. Rowohlt )
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»Raddatz entlarvt sich mit dem Buch immerhin selbst. Er ist unglaublich eitel und von seiner Wichtigkeit überzeugt.«
Ich lese gerade dieses Buch. Spät. Aber was soll's. Mein Urteil: Ich bin hin- und hergerissen. Auch im Qualitätsurteil.
Was man allerdings sagen muss: Das sind Tagebücher, keine komponierten Essays. In Tagebüchern stehen nun mal Alltäglichkeiten drin. Wenn man an denen nicht interessiert ist, muss man Tagebücher ja nicht lesen. (Ich persönliche lese Essensschilderungen, Krankheitanekdoten usw. ganz gerne und habe mich auch durch die Thomas-Mann-Tagebücher durchgelesen. Informationen über eine Zeit aus einer bestimmten Sicht. Warum nicht?)
Dann: Dass R. sich auch selbst für eitel hält, hat er immer wieder mal selbst gesagt. Er ist allerdings auch davon ausgegangen, dass alle in seinem Umkreis ebenso eitel sind wie er und diese Eitelkeit nur zu verbergen suchen. Ich würde ihm da recht geben. Und sich wichtig nehmen? Ja mei, so sind wir halt, wir Menschen! Der, der sich nicht wenigstens selbst für wichtig nimmt - wozu ist der denn auf der Welt?
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Auf der anderen Seite -- dieses Um-sich-selbst-Kreisen ist tatsächlich auf die Dauer nur schwer zu ertragen. Vor allem, wenn die Satelliten immer von höchster Qualität sein müssen, selbst dort, wo sie in Grund und Boden Gestampft werden.
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Aus diesen Tagbüchern:
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An der Sitzung nur interessant, wie mehr und mehr alle Literaten übereinander herfallen, es gibt KEINERLEI Freundschaft oder auch nur Solidarität – Jaeggi über Habermas (und vice versa, «Jaeggis Geschleime»), alle über Wapnewski, selbst ein Niemand wie Wiegenstein erlaubt sich das bereits, Grass zeigte sich mit einem Pasquill von Janssen, das offenbar gegen Wunderlich gerichtet war (er «warnt» Grass davor, sich «sponsern» zu lassen; der reinste Quatsch – wohl weil Grass bei Wunderlichs Lithoanstalt in Zürich arbeitet). Und so: Es geht ihnen entweder zu gut oder zu schlecht, Kaiser ruft mich an und macht sich über Mayers Buch lustig, aber der sitzt nächsten Tag bei mir und erzählt, Kaiser habe ihn voller Begeisterung angerufen. Da bietet sich nicht nur die Frage an: Wie werden sie alle über mich reden, sondern: Was tun wir alle miteinander uns an? Wir wissen es alles besser als die Politiker – aber ich für meinen Teil möchte von keinem von denen regiert werden! Ihre Narzißhaftigkeit und Eitelkeit ist zu schlimm.
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Ist das nicht doch ziemlich weise-kritisch gedacht und geschrieben?
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Donnerstag abend, bevor ich nach Berlin flog, war ich dort wieder, traf den, sprach mit ihm – ein CDU-Parolen plappernder Dummkopf, der mir gleich sagte, er sei aber kein Gesprächspartner für mich. Erstens sei ich doch nun wohl alt genug geworden, um zu wissen, daß man sich hier nicht unterhalten wolle, und zweitens sei ich ihm zu «hoch» – er wisse genau, wer ich sei. Sprach’s und ging vor meinen Augen in den Dunkelraum.*
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Da bin ich dann doch zusammengezuckt. Geht es hier tatsächlich um einen darkroom*?
* Darkrooms können in Schwulenbars, Diskotheken, Saunen, Clubs und heterosexuellen Swingerclubs vorhanden sein, gehäuft sind sie in Lokalen der schwulen Lederszene oder der Szene nahestehenden Lokalen zu finden. Sie sind sehr spärlich bis gar nicht beleuchtet und dienen den Gästen zu sexuellen Handlungen vom Küssen bis zum Geschlechtsverkehr. (
Wikipedia)
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