Dienstag, 19. März 2013

Helmut Arntzen und der SPIEGEL

Ich habe nun mal den SPIEGEL und sein E-Paper abonniert, und darum habe ich heute das herausgefischt, aus dem tiefen Brunnen der nahen Vergangenheit:

Datum: 7. November 1977 | Betr.: Analyse | "Die Verschlungenheit von scheinbarer Sprachbeherrschung, Sprachbeherrschtheit und den Legitimationsversuchen mit Hilfe der aus der Sprache gewonnenen Destillate als vorausgesetzte Gegebenheiten, welche nunmehr das Sprechen massregeln sollen, ist in der "Hausmitteilung" (S. 3) zu studieren." | Ja, denn. Der Münsteraner Germanist Professor Helmut Arntzen hat zusammen mit fünf anderen Wissenschaftlern ein SPIEGEL-Heft -- 28/1972 -- analysiert und die Resultate, siehe Zitat oben, nun als Buch in der Reihe "Karl-Kraus-Studien" vorgelegt ("DER SPIEGEL 28/1972". Wilhelm Fink Verlag, München; 224 Seiten; 36 Mark). Zwar wird konzediert: "Die Geschichte der Bundesrepublik ist ohne Rücksicht auf den SPIEGEL nicht zu schreiben, die Nachkriegsphase der deutschen Sprachgeschichte als Geschichte des Bewusstseins auch nicht, und was zwischen ironischem Feuilleton und kritischem Dokumentarismus als deutsche Literatur der Zeit seit 1945 gilt, das wird in vielem auf die Sätze und stories des SPIEGEL zurückzuführen sein" (Arntzen). | Aber natürlich überwiegt das Kritische. In den fünf Jahren, in denen sich die Wissenschaftler über ein einziges Heft gebeugt haben, fanden sie heraus, dass der SPIEGEL kein Spiegel sei, dass der SPIEGEL-Leser aus seinen Briefen an den SPIEGEL lernen müsse, er sei so lange eine "lächerliche Figur ... so lange er noch nach Tatsachen sucht", dass -- mit Blick auf die Rubriken -- "panorama" ein "Titel für das Geringfügigere" sei, "szene" aus dem achtzehnten Jahrhundert stamme und: "Dass das in dem Fremdwort "Personalien" enthaltene Wort Person (persona) ursprünglich dem Bereich des Schauspielerischen angehört, wird erst wieder im SPIEGEL deutlich ...". Und dergleichen mehr. | Der Österreicher Karl Kraus (1874 bis 1936), dessen Andenken diese Studienreihe gewidmet ist, war als Herausgeber der "Fackel" selber Journalist und daher einer der witzigsten Kritiker seines Berufsstandes. Er spottete: "Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können -- das macht den Journalisten." Er hat die Möglichkeit offengelassen, keinen Gedanken zu haben und auch das nicht ausdrücken zu können.

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29.04.1974 | RÜCKSPIEGEL | Zitat | Der Münsteraner Literaturhistoriker Professor Helmut Arntzen in einem Vortrag in Wien über "Karl Kraus heute": || Weit mehr noch als in der bürgerlichen und linken Presse seiner Zeit hätte Karl Kraus in Blättern wie dem SPIEGEL die endliche Erfüllung der Phrase als Weltverwandlung gesehen. So katastrophal sich der sprachlos gewordene Geschichtsgang auch vollziehen mag, er ist in der Phrase des Blattes, seinen Rubriken, Stories und Metaphern besorgt und aufgehoben, und dem Leser erscheinen alle Katastrophen nur als ein Heft, während große Literatur immer, wie sehr erst heute, das Katastrophale dort kenntlich zu machen hat, wo es als nur Alltägliches begegnet ... Nirgendwo ist einprägsamer das Ensemble der Phrasen als Beispielsammlung ihrer Möglichkeiten beisammen als in dem Nachrichtenmagazin, das in diesem Untertitel auf den Zusammenhang von Information und Warenlager aufmerksam macht und das zum Titel bereits eine Phrase hat, als würde hier Wirklichkeit gespiegelt und nicht nur die Fähigkeit der Schreiber, Sprache zu beherrschen.

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25.05.1970 | SCHRIFTSTELLER / HANDKE || Unerschrocken naiv | Ein Oberseminar über Handke unter dem Titel "Wie entsteht ein bekannter Schriftsteller?" hält in diesem Semester der Germanistik-Ordinarius Professor Dr. Helmut Arntzen an der Universität Münster. Es ist bereits die zweite Lehrveranstaltung dieser Art: Ein erstes "Peter-Handke-Seminar" findet seit letztem Winter an der Freien Universität in Berlin statt, als Veranstaltung der "Roten Zelle Germanistik" (Rotzeg). Zu ihren erklärten Absichten gehört es, "die vielen Erstsemester, die für Handke schwärmen, kritisch aufzuklären" (so der Seminarleiter Dr. Manfred Lefèvre, 32, ein Bruder des ehemaligen SDS-Sprechers Wolfgang).

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Dann gab es da, so aus dem Gedächtnis heraus gesagt, noch eine vierte Stelle, die ich auf die Schnelle nicht gefunden habe. Aber ich glaube, da hat der SPIEGEL, boshaft und nachtragend, wie er nun mal ist,  in den 1980er Jahren den Eigennamen dann weggelassen und nur von einem "namenlosen Germanistik-Professor aus Münster" gesprochen. So oder so ähnlich.