Montag, 15. September 2014

Unterschichten-Rechtschreibung

Nein, das soll keine Herabsetzung von Menschen sein. Sondern eine ganz sachliche Überlegung. Das mit dem Unterschichten~ übernehme ich einfach dem bekannten Kalauern von Harald Schmidt. Man weiß auf diese Weise am schnellsten, was gemeint ist.

Nun denn, kann es sein, dass die Rechtschreibreform auch so etwas wie eine Unterschichten-Rechtschreibung produziert hat? Ich meine damit Folgendes: Viele Leute sind stolz darauf zu wissen, "wie man ein Wort schreibt". Sie brauchen einen festen Halt, und den finden sie im Duden. Jetzt nehmen wir die Fremdwort-Schreibung des Typs "referentiell / referenziell". Der Duden hält fest:

re­fe­ren­zi­ell, re­fe­ren­ti­ell. Wortart: Adjektiv. ... Von Duden empfohlene Schreibung: referenziell. Alternative Schreibung: referentiell.

So weit, so gut. Ich habe den Verdacht -- und gehe da natürlich von mir und meiner Intuition aus --, dass diese z-Schreibung von geübten Lesern den Menschen zugeordnet wird, die hilflos den Vorgaben ausgeliefert sind. Natürlich kann ich mich da irren!

Kleiner, vorläufiger Test:

~ Integrität

Referentielle Integrität – Wikipedia. de.wikipedia.org/wiki/Referentielle Integrität.
Referentielle Integrität (RI) ist ein Begriff aus der Informatik. Man versteht darunter ...

Referenzielle Integrität in SQL. ... Definition: Referenzielle Integrität bedeutet die Konsistenz zwischen verbundenen Tabellen.

"referentielle integrität" 4.570 Treffer
"referenzielle integrität" 2.410 Treffer

Also, an diesem einen Beispiel, fachsprachlich, sieht man, dass sich hier zumindest die Duden-Empfehlung nicht durchgesetzt hat.

Natürlich ist diese Rechtschreibfrage in der Wikipedia erörtert worden, und wie schreibt der Wikipedia-Autor so schön?

Was das Thema amtliche Werke anbelangt, so haben die nicht mehr Bedeutung als die bestehende Fachliteratur. Ich selbst werde mich immer an letztere halten. | Und die neue Rechtschreibung, die gilt für mich nicht. Sprache ist etwas lebendiges und kann nicht verordnet werden. Die Sprache geht also vom Volk aus. Und auch wenn die FAZ sonst nicht mein Blatt ist. In diesem Punkt stimme ich ihr voll und ganz zu. -- sparti 15. November 2008

Jetzt wäre es wohl an der Zeit, die Duden-Redaktion aufzufordern, die Rechtschreibung nach Jahr und Tag wieder empirisch auszurichten. Dort, wo "das Volk" die Empfehlungen nicht annimmt, sollte man die Empfehlungen ändern. (Und empfohlen werden kann auch der Wikipedia-Artikel "Hausorthographie". Und vor allem die Auseinandersetzung auf der Diskussionsseite ist vom Feinsten (ja, so geschrieben!).)

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Noch ein kleiner Nachtrag, zum Stichwort FAZ, aus der FAZ (02.12.2006):

Die Reform der Rechtschreibreform erlaubt in den meisten Fällen wieder die Verwendung bewährter Schreibweisen, wie sie vor der Reform gebräuchlich waren und außerhalb der Schulen immer noch gebräuchlich sind. In zahlreichen Fällen nennen die Wörterbücher mehrere zulässige Varianten, wobei die Redaktion des „Wahrig“ in der Regel die bewährten Schreibweisen empfiehlt, während die Duden-Redaktion entgegen den Empfehlungen des Rates für Rechtschreibung überwiegend der reformierten Schreibweise den Vorzug gibt. In Zweifelsfällen werden sich die F.A.Z. und FAZ.NET deshalb künftig vor allem an Wahrigs Wörterbuch „Die deutsche Rechtschreibung“ orientieren.