Donnerstag, 31. August 2006

Überschätzte Sexualität

Es ist eigenartig, manchmal wirken tagesjournalistische Sätze wie ein Fanal. Das 20. Jahrhundert habe, schreibt Matthias Heine in der WELT,

"die Sexualität überschätzt. Deshalb wirkt auch [der Film] 'Wie sehr liebst du mich?' ein bisschen altmodisch: Die Macht des Eros, die hier von den Männern beim Anblick von Belluccis Luxuskörper ständig beschworen wird, hat doch durch die geschäftsmäßige Banalisierung ihr Geheimnis verloren. Aber auch das Kino (noch so eine etwas antiquierte Erfindung des 20. Jahrhunderts) war ja immer ein großer Überschätzer des Sex, und es macht Spaß hier noch einmal mit dem alten Blier alte Träume zu träumen."

Wieder ist man bei der Frage, wann der Mensch in seiner historischen Entwicklung dahin gekommen ist, sich zum Geschlechtsakt aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Und sich damit von den Tieren zu unterscheiden. Die biblische Formulierung 'sie erkannten sich' für 'sie hatten Geschlechtsverkehr', hat wahrscheinlich mehr mit tatsächlicher Erkenntnis zu tun, als wir denken. Das Paradigma der Vertreibung aus dem Paradies -- wahrscheinlich doch eine Metapher für eine Erkenntnisstufe: 'Ich und alle anderen -- wir sind alle sterblich. Unser Leben wird eines Tages enden.' Das Ende des schönen tierischen Ewigkeitsgefühls. Warum gepaart mit dem Ende des Geschlechtsakts in der Öffentlichkeit?

Allerdings ist das Tierische noch in reichem Maße da. In den Swingerclubs. Beim 'Jedermann' in Salzburg, den die Schickeria besucht, um sich selbst einmal im Jahr zu bestätigen, daß sie die Erkenntnis ihrer Endlichkeit so wenig im Hirn hat, daß sie locker ein solches Stück übersteht. Ja, mehr noch: daß sie es eben zum Event machen kann, ohne im mindesten zu leiden. Und natürlich und eben auch: im westlichen Kino, wo der inszenierte öffentliche Sex das Paradies durch einen Nebel sichtbar werden läßt.

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