Was ist, wenn einer exakt das in einer führenden Tageszeitung veröffentlicht, was man selbst immer wieder denkt und gelegentlich sagt? Na was ist wohl? Gut! Dankbar muss man sein! Einer hat es auf den Punkt gebracht! Jetzt geht es nur darum, dass das in den Kaskaden von Meinung und Meldung nicht untergeht. Wie stellt man das an?
Worum geht es? Gestern in der Süddeutschen:
Thema des Tages || Blind in die Apokalypse || Selbst Klimaexperten fliegen durch die Welt und frönen dem Konsum - wie kann man da von Normalmenschen verlangen, ihren Lebensstil zu ändern? Von Harald Welzer || Vor einigen Wochen veranstaltete die Volkswagenstiftung eine große internationale Konferenz zum vierzigsten Jahrestag der berühmten Studie 'Grenzen des Wachstums'. Deren Hauptautor Dennis Meadows hielt den Eröffnungsvortrag und hatte den 160 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Betrübliches mitzuteilen: Seiner Auffassung nach sei nämlich das Einschlagen eines nachhaltigen Pfades - anders als vor vierzig Jahren - heute nicht mehr möglich. Zu viel sei in der Zwischenzeit angerichtet worden und noch immer steige der Verbrauch von Energie und Material und wachse die Menge von Müll und Emissionen. Game over. Heute könne es demgemäß nur noch darum gehen, Gesellschaften widerstandsfähig für das zu machen, was mit Sicherheit auf sie zukomme: Rohstoffmangel, Extremwetterereignisse, Wohlstandsverluste, Stress aller Art. Ohne Frage: Das war keine gute Botschaft, direkt zum Auftakt der Konferenz. Wie würden die anderen Referentinnen und Referenten darauf reagieren? Sehr einfach: gar nicht. Unbeirrt präsentierten sie alle ihre Power-Point-Bildchen und Diagramme, also: business as usual. || [...] || So können Besorgnisse und zerstörerische Lebensstile friedlich koexistieren, und niemand muss sich bis auf Weiteres praktisch mit der Tatsache konfrontieren, dass es sich nur um ein Spiel auf Zeit handelt, dessen Ende absehbar ist. Realismus, oder wenigstens ein Gefühl für das Wirkliche, würde ja anerkennen müssen, dass wenigstens in den reichen Ländern nichts so weitergehen kann wie bisher: Das Kulturmodell, das darin besteht, von allem immer mehr zu haben, muss nämlich in eines transformiert werden, das von allem immer weniger braucht. Weniger Wohlstand, weniger Konsum, weniger Mobilität, dafür aber auch: weniger Arbeit, weniger Konsumstress, weniger Ruhelosigkeit. Das gelingt nur praktisch in der Einübung eines anderen Lebensstils, nicht durch die Appelle der Besorgnisindustrie. Nicht, indem diejenigen, die Teil des Falschen sind, anderen mitteilen, was jetzt zu tun wäre, selbst aber so weitermachen wie bisher. [...]
Süddeutsche Zeitung, Montag, den 31. Dezember 2012, S. 2. (Text online, im Moment jedenfalls.)
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Ich ergänze noch ein wenig: Die großen Zeitungen hierzulande und womöglich überall auf der Welt haben zwei Sparten: a) Umweltschutz, b) Reisen & Urlaub. Beides geht zusammen wie Phosphor und Wasser. (Wobei das Reisen der Phosphor ist, natürlich.) Aber -- der Leser ist ja schizophren! Er will beides. Die Welt retten, umweltschutzmäßig sozusagen, und im Fernen Osten Urlaub machen. Und nur selten einer, der ihm sagt, dass beides nicht zusammengeht.