Samstag, 12. Mai 2007

Literaturwissenschaft: eine andere Rezeptionsforschung

Für Michael K.

Nicht nur, weil gerade von Arno Schmidt die Rede war, hier eine Überleguung, die ich seit langem habe und die, knapp formuliert, so aussieht:

Schriftsteller und ihre Werke werden durch drei Elemente groß oder sehr groß (oder bleiben unbekannt): durch
  • KÖNNEN (Untersuchungsmethode: Wie wird ein Text, auf dem kein Name und kein Verlag steht, von a) normalen Lesern und b) Profis aus bb) Kritik und bb) Literaturwissenschaft beurteilt? Am besten es geht da um texutelle Doppelblind- versuche.)
  • MARKETING (bestehend aus Netzwerken von persönlichen Beziehungen zwischen Verlagsmenschen, Redakteuren, dann der echten Werbung der unterschiedlichen Art, usw.) und
  • faktischem ERFOLG (nach Verkaufszahlen, Medienpräsens, etc.) (Der Erfolg kommt natürlich in jeder Hinsicht nach den vorgenannten Punkten und ist von diesen Größen abhängig.)
Wer so was mag: Die KME-Formel. -- Wenn die Literaturwissenschaft, stärker als sie es aus ihren Traditionen ist und sein kann, eine empirische Wissenschaft wäre, hätte sie es sich nicht entgehen lassen, für diesen Zusammenhang Modelle zu entwerfen, die zeigen a) wie die Generalformel aussieht, also die Formel, die das langjährige Mittel für alle Gattungen zeigt, und wie Spezialformeln aussehen, die, zum Beispiel, für Lyriker, Dramatiker und Romanciers gelten. Oder eben auch: Formel, die darstellen, wie sich der Zusammenhang in den letzten fünfzig Jahren grundsätzlich oder in der Tendenz geändert hat.

So aber: Die Literaturwissenschaftler sind so gar keine empirischen Wissenschaftler.* Literaturwissenschaftler haben sogar eine echte Empirie-Phobie gegenüber Fragestellungen dieser Art, und sie wehren sich gegen solche Fragen mit großer Vehemenz und sehr wortreich. Das sei dem literarischen Text nicht angemessen, so zu denken. Natürlich eine reine Schutzbehauptung. Ob sie mit dieser Art der Selbstisolation auf Dauer ihrem Fach und sich selbst einen Gefallen tun, sei dahingestellt. Oder doch nicht ganz dahingestellt, denn ich meine: Nein!

Wie sieht der Durchschnittsliteraturwissenschaftler den Zusammen- hang? Nun, er bleibt ganz und gar dem Motto verhaftet: Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Wie ein Roman zu einem Buch wird, das in der Literaturwissenschaft zur Kenntnis genommen wird, möge bitte ein Geheimnis bleiben. Erst was in den Buchhandlungen steht und in den Zeitungen steht, ist für uns relevant. Für derartige Fragen, nach Marketin-Anteil etwa, sind der Weltgeist und am Ende eben Gott zuständig, nicht die Literaturwissenschaft. Ja, die Literatur als solche, sie ist unmittelbar zu Gott!

Und natürlich sei da, nicht nur wegen hilfswissenschaftlicher Dienste, auf das Innsbrucker Zeitungarchiv verwiesen, wo die Macht des literaturkritischen Wortes gebündelt und wohlsortiert aufgehoben ist.

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* Allein die, von heute aus besehen etwas arg schlichten, Forschungen von Fucks und Bense haben sie ja beinahe vollständig ausgegrenzt aus ihrem Denken. Man darf wahrscheinlich mit einem Recht sagen: vollständig ausgegrenzt. -- Was sind sie dann? Diskurswissenschaftler! Meine alte Unterscheidung zwischen axiomatischen Wissenschaften, empirischen Wissenschften und Diskurswissenschaften, sie greift auch hier. Nicht einmal die Spur eines Vorwurfs. So sind eben die Traditionen. Aber wenn man die Traditionen einmal durchbrechen würde, kämen vollkommen neue, wichtige Fragerichtungen in den Blick.

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