Dienstag, 1. April 2014

A. und die Ukraine

Vergangenen Sonntag, bei gutem Essen, nach Kabarett-Besuch: A. stellt seine Sicht auf das Ukraine-Problem dar:
  • Die westlichen Medien seien in Sachen Ukraine gleichgeschaltet dumm. Besonders ZDF-Frau Marietta Slomka wird als Negativ-Beispiel genannt. Ihre aggressive Art gegenüber Schröder zum Beispiel. Respektlos. Schröder hätte das Interview einfach abbrechen sollen.
  • Putin sei besser als seine westlichen Gegenspieler. Er sei berechenbar und wisse, was er wolle. (Er, A., sei kein genereller Putin-Fan. Auf den nackten Oberkörper würde er gerne verzichten.)
  • Das Chruschtschow-Geschenk an die Ukraine, die Krim, nach Russland zu holen, sei in hohem Maße gerechtfertigt. Die Russen seien dort, wie im Übrigen in der Ukraine insgesamt, einfach unterdrückt worden. Russen werden auch in den baltischen Staaten unterdrückt und in anderen Teilen der Ukraine.
  • Wirtschaftssanktionen könne Russland besser verkraften als der Westen. Da solle man sich mal nichts vormachen.
  • Janukowitschs Reichtum und Protz: Das sei bei den anderen Politikern dort und hier ja nicht anders. Das seien halt teure Regierungsbauten.
  • Die Äußerungen von Fuck-the-EU-Nuland und Putin-in-den-Kopf-schießen-Timoschenko, die zeigten, welche Demokratie-Freundinnen Europa da hätte. Schlimm auch die Besuche und die Reden von Catherine Ashton. Und dann auch noch der wenig intelligente Boxer Vitali Klitschko als Möchte-gern-Staatsmann!
  • Sonderaspekt: Die Bräuche im westlichen Lager. Nuland hätte, nachdem ihre Fuck-Äußerung öffentlich geworden war, natürlich sofort zurücktreten müssen. So aber -- Verlust der Sitten und weiter.
  • In der Ukraine seien vor allem rechtsradikale Elemente am Zug.* Das Parlament sei von diesen Leuten mit Waffengewalt genötigt worden, gegen Janukowitsch zu stimmen. So sähe diese illegitime Demokratie-Bewegung da aus.
  • Die Schützen auf dem Maidan seien nachweislich aus den Reihen der rechtsradikalen Demonstranten gekommen. Sie hätten Polizisten und Demonstranten erschossen, um den Westen zu Eingreifen zu bewegen und die Weltmeinung gegen Janukowitsch aufzubringen.**
  • Die westlichen Politiker, die der USA allen voran, seien im Grunde argumentlos-aggressiver als die russischen. Beispiel: der Irak-Krieg. Und damals, die Haltung Deutschlands im Balkan-Konflikt. Schlimmste Politiker im Westen. Rumsfeld. Cheney. Die USA, die Putin gar nichts vorwerfen dürften.
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* Immerhin, ganz gleichgeschaltet ist die westliche Presse nicht. Eine Meldung gerade eben:

Heute, 13:00 Rechter Sektor | Radikale in Ukraine übergeben ihre Waffen || Die Mitglieder der ultranationalistischen Gruppe Rechter Sektor haben ihr Hauptquartier geräumt und ihre Waffen übergeben. Zuvor kam es zu einer Schießerei zwischen den Radikalen und der Polizei. [...] Der als gewaltbereit bekannte Rechte Sektor spielte bei dem politischen Umsturz in der Ukraine eine Schlüsselrolle. Doch blieb er bei der Bildung der neuen Regierung außen vor. || Ukrainische Polizei erschießt Rechten-Anführer | Einer der Anführer der Gruppe, Alexander Musytschko, wurde Ende März nach Angaben des Innenministeriums bei einer Schießerei mit der Polizei getötet.

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Gestern in der SZ dann auch das:

"Wer Verständnis für Russlands Vorgehen in der Ukraine äußert, missachtet historische Fakten, sagt Timothy Snyder. Der Historiker liefert wichtige Anmerkungen, die [in] der deutschen Debatte zu kurz kommen. Snyder sagt: Die EU hat in dieser Krise ihre Unschuld verloren. Von Jens Bisky || Es ist Mode geworden, Verständnis für Putin zu äußern. Da es die Sowjetunion nicht mehr gibt und Polen Mitglied der Nato werden wollte und die Krim für die russische Seele so wichtig ist, blieb ihm doch gar nichts anderes, als sich einen Dreck um Verträge zu scheren und mit dem Recht des Stärkeren Grenzen zu korrigieren."

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Ich überlege, wie meine Argumentationstheorie, die über die Jahre hin vor sich hin reift, da greifen würde. Ungefähr das würde sie voranschicken: Komplexe Sachverhalte, nicht nur politische, sind ein abstraktes Aquarell. Temperament und Vorannahmen der Urteilenden zeichnen bei Schuldfragen Linien und reduzieren die Farben. Dann entsteht sehr schnell eine meist einfache, klare Meinung in Schwarz-Weiß. Kaum einer sagt ja: "Ich teile die Schuld im Verhältnis 39 : 18 : 17 : 14 : 12 zwischen den Gruppen A, B, C, D, E auf. Obwohl das natürlich in der Realität sehr sinnvoll wäre.) Das, diesen Meinungsbildungsprozess durch Reduktion der Feinheiten, den muss man innerhalb einer Argumentationstheorie nachzeichnen.

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** Nachtrag (03.04.2014, 15:03). Eben gefunden:

Kiew: Scharfschützen auf Maidan waren Berkut-Leute | Kiew: Scharfschützen auf Maidan waren Berkut-Leute | © RIA Novosti. Sergei Tyshkovets | 12:26 03/04/2014 | KIEW, 03. April (RIA Novosti). || Ukrainische Generalstaatsanwaltschaft kennt Namen der Scharfschützen vom Maidan | Aksjonow: Mehrere Personen nach Todesschüssen in Simferopol festgenommen || Neun Angehörige der ukrainischen Sondereinheit Berkut sind laut dem amtierenden ukrainischen Generalstaatsanwalt Oleg Machnitski wegen des Verdachts festgenommen worden, am 20. Februar auf der Institutskaja-Straße in Kiew Menschen erschossen zu haben. Unter den Festgenommenen befinde sich auch der Mensch, der die Gruppe von Scharfschützen geleitet habe, hieß es. Darauf angesprochen, von wem die Berkut-Leute den Schießbefehl bekommen haben, sagte Machnitski: „Von ihrem unmittelbaren Chef, der wiederum die Anweisung von der obersten Führung bekommen hat.“ „Das oberste Kettenglied war die Administration von Präsident Viktor Janukowitsch“, fügte er an. Die weiteren Kettenglieder seien „die Präsidentenadministration, das Innenministerium und der Sicherheitsdienst der Ukraine“ gewesen.

Nun ist es ja so, dass die Geschichte oft von den Siegern bzw. den gerade herrschenden Machthabern geschrieben wird. Das kann auch hier so sein. Wer findet heraus, wie es wirklich war?

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Nachtrag (27.05.2014) Ist die Frage, wie es "wirklich war" in diesem und in vergleichbaren Fällen nicht vielleicht doch wie die Frage nach dem Verbleib von MH370? Mit größerem zeitlichen Abstand wird es immer unwahrscheinlicher, ein klares Bild von der Schuldverteilung, hier im Besonderen: der Frage "Wer hat nun wirklich geschossen?" zu bekommen. Noch ein Vergleich, im 100. Gedenkjahr des Beginns: Wer war am 1. Weltkrieg schuld?