Montag, 5. Juli 2010

Ein bizarres Wochenende

Was für ein bizarres Wochenende das war! Die Gäste, die zum Gesangsnachmittag viel zu früh kommen. Der 4:0-Sieg über Argentinien. Ein Mann lässt sich seine Anteile an einer Consulting-Firma auszahlen und macht sich demnächst selbstständig. Ich verstehe seine Pläne nicht. Diese eigenartige Denkweise und Sprache der Berater!

Dann, gestern Abend: Nach dem Wallander-Film, den ich zusammen mit einem meiner Söhne angeschaut habe, mache ich den Fernseher aus. Es wird vollkommen dunkel im Raum, und ich wundere mich für eine halbe Sekunde darüber, dass es dunkel ist. Hat denn wirklich keine Lampe gebrannt, überlege ich. Ich bitte meinen Sohn, das Licht einzuschalten. Es geht nicht. Gut, da ist beim Ausschalten des Fernsehers eine Spannungsspitze entstanden, die die Glühbirne, das "Leuchtmittel" ruiniert hat, denke ich. Will eine andere Lampe anmachen. Nichts. Also die Sicherung. Nachgesehen. Alle Sicherungen ok. Es dämmert mir: ein allgemeiner Stromausfall. Ich schaue auf die Straße. Keine Straßenlaternen. Irgendwo in der Nachbarschaft dröhnt eine Alarmanlage, die vermutet, Diebe hätten vielleicht den Stromkreis lahmgelegt und die sich da vorsorglich meldet. Taschenlampen sind zur Hand, solche, die man durch Kurbeln mit neuer Kraft versehen kann. Nach drei, vier Minuten ist der Strom wieder da, und ich überlege, wie doch eine technische Welt so fein aufgebaut ist, dass durch Umstellen der Leitungen in irgendeiner Schaltzentrale so ein Stromausfall nur drei Minuten dauert. Es muss ein Blitz in einiger Entfernung gewesen sein. Das Gewitter, das weiter gezogen war. Wir hatten es zwei Stunden vorher über dem Haus.

Am Ende der Kette steht die Zeitung von heute morgen. Die Fußballgötter der SZ zeigen frenetisch jubelnde Fußballanhänger vor dem Fernseher. Drei Sätze werden den Jublern in den Mund gelegt: "Wir werden Weltmeister!" Dann: "Wir müssen nie wieder arbeiten!!" Schließlich auf dem Fernseher in dem Bildstreifen Angela Merkel, grob gezeichnet, aber erkennbar. Vor allem am weinroten Blazer und den symmetrisch-verhalten bis knapp über die Schultern in die Luft gereckten Fäuste. Die typische Jubelgeste der Kanzlerin. Und was sagen die Jubler? "Sie ist wunderschön!!!" schreien sie. Man beachte die jeweilige Anzahl der Ausrufezeichen.

Das ist noch nicht alles: Marylin Manson wird als echter Aquarellist vorgestellt. In Wien stellt er aus und wird von der SZ interviewt. (Als Maler war er auch schon mal in Köln, nicht wahr?)

Die Berliner Richterin hat sich im Wald erhängt. Vorher hatte sie noch die Korrekturen zu ihrem Buch fertiggemacht.

Und dann auch noch das: Bei einem Unfall in Sachsen-Anhalt sind zwei Menschen in zwei Autos zu Tode gekommen. Im Kofferraum des einen Autos lag eine weitere Leiche, eine Frau. "'Die Frau ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht beim Verkehrsunfall gestorben'." So der der Sprecher der Polize. "Die Identität der Toten und die Todesursache müssten noch geklärt werden."

Wie fast immer weiß die BILD-Zeitung mehr. Die Leiche im Kofferraum war splitternackt.(*) Irgendwie doch seltsam, dieses Prädikat, bei einer Leiche. Und der Fahrer des Wagens mit der Leiche im Kofferraum, das war "Harry P. († 59), Polizeiobermeister aus Magdeburg". Die Tote höchstwahrscheinlich seine Frau. Ein Polizist! Erstaunlich.

(*) Entwickelt sich hier ein neues BILD-Schlüsselwort, das womöglich demnächst ins Normaldeutsch zurückkehrt? Splitternackt klingt ja wie ein Wort aus den 1960er Jahren.

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Eine Ergänzung noch: Das Internet macht nicht automatisch dumm. Allerdings verbessert es auch nicht per Enter-Taste die Intelligenz.

"Kritiker der neuen Medien greifen gelegentlich auf die Naturwissenschaft selbst zurück, um ihre Position zu untermauern. Sie zitieren dann Forschungen, die angeblich zeigen, wie 'Erfahrungen das Gehirn verändern'. Aber in der kognitiven Neurowissenschaft verdreht man bei solchem Gerede nur die Augen. Es stimmt zwar, dass sich unser Gehirn jedes Mal neu verdrahtet, wenn wir uns ein Faktum oder eine Fähigkeit aneignen. Die Information wird schließlich nicht in der Bauchspeicheldrüse gespeichert. Aber dass neuronale Plastizität existiert, bedeutet nicht, dass das Gehirn ein Lehmklumpen wäre, der erst durch Erfahrungen in Form geklopft würde."

(Steven Pinker: Man ist nicht, was man isst. Der Einfluss der neuen Medien ist wohl begrenzter, als die Ängste davor vermuten lassen. [Höchst seltsame Überschrift!] SZ von heute, S. 9)

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