Donnerstag, 27. Juni 2019

Adolf Muschgs Verteidigung ...

... von Gerold Becker.


Notizbuch

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Der Schriftsteller Adolf Muschg hat eine Verteidigung von Gerold Becker, dem ehemaligen Leiter der Odenwaldschule geschrieben. Er sieht gegen ihn ein Hexengericht am Werk, eine Kampagne, eine Hinrichtung, die am Boten einer guten Nachricht, einem Sündenbock, vollzogen werde, ungerechterweise, weil man dessen Fehltritte nicht mehr gegen seine Verdienste abwäge. Jürgen Kaube | Der Schriftsteller Adolf Muschg schreibt so - im Berliner „Tagesspiegel“ vom Montag - über einen Pädagogen, der über Jahre hinweg wie andere Lehrer auch, inzwischen spricht man von acht Personen, am sexuellen Missbrauch von Jugendlichen beteiligt gewesen sein soll. Wozu Becker seit mehr als zehn Jahren schweigt. Was die Schule selbst als eine Tatsache annimmt. Was zahlreiche Schüler inzwischen bestätigt haben. Was vermutlich auch der Entbindung Beckers vom Amt des Schulleiters im Jahr 1985 zugrunde lag. Ein erstes Strafverfahren wurde 1999 eingestellt, weil die Taten schon verjährt waren. || Gemeinsames Duschen war kein Schulprogramm | Adolf Muschg bestreitet denn auch nicht sie. Er bestreitet vielmehr, „dass ,Missbrauch' das letzte Wort ist, das zu seiner“, Gerold Beckers „Praxis als Lehrer passt“. Doch was soll das sein, das „letzte Wort“, das zu jemandes Berufspraxis passe? Muschg meint nicht: das abschließende Wort. Er meint nicht, dass über diese Praxis anderes noch zu sagen sei als „Missbrauch“. Er meint vielmehr, dass ihm zu ihr als allerletztes das Wort „Missbrauch“ einfalle. Wie es jenen Schülern gehen mag, kommt bei Muschg nicht vor. Kann er sich vorstellen, dass auch für sie „Missbrauch“ nicht das einzige, aber das allererste Wort ist, das ihnen zu Becker einfällt? ... Für Beckers Praxis als Lehrer bietet uns Muschg stattdessen einen „Eros“ an, der sich nun mal nicht restlos zum „pädagogischen Eros“ sublimieren lasse, sondern den Schülern immer leibhaft begegne. Becker habe das nicht verleugnet, wofür er jahrzehntelang gefeiert worden sei. Aber gemeinsames Duschen mit Halbwüchsigen, um von anderen Praktiken zu schweigen, fand sich auch in den Broschüren der Odenwaldschule zu Zeiten Beckers nicht als Schulprogramm. Hätten die Eltern wissen müssen, dass „Nähe“ so viel einschließt? Muschg scheint das zu bejahen, wenn er formuliert, Eros sei immer eine Grenzüberschreitung, „es ist nur die Frage, ob sie uns willkommen ist oder nicht“. (faz.net)

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