Sonntag, 23. Dezember 2018

Handke, radikal realistisch

Onkel Michael berichtet aus seinem Leben.

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Professor F., Literaturwissenschaftler. Seine Vorlesung zur deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Am Schluss auch zu ganz neuen Büchern. Er spricht über Handkes Kurzen Brief zum langen Abschied. Am Ende der Vorlesung dürfen Fragen gestellt werden.

Warum das und das nicht klar ausgedrückt sei, fragt ein Student. Ob Handke das wohl zu persönlich, zu peinlich gewesen sei?

Mein Gott, wie viele Jahre ist das her!  Der Onkel seufzt auf. 

Jemand, der beschreibt, wie der Held in der Badewann onaniert, dem sei so etwas bestimmt nicht peinlich, sagt Professor F. Ich zucke zusammen. Solche Sätze in einer Vorlesung an einer deutschen Universität kommen bestimmt nicht oft vor, überlege ich.

Jetzt habe ich endlich nachgeschlagen, nach so vielen Jahren. Kein Zweifel, da steht es! Genau so ...

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Ich ließ das Wasser herausrinnen, während ich noch sitzenblieb. Das Wasser floß sehr langsam ab, und als ich zurückgelehnt, mit geschlossenen Augen dasaß, kam es mir vor, wie wenn auch ich selber, mit den gemächlichen Rucken des Wassers, nach und nach kleiner wurde und mich schließlich auflöste. Erst als mir kalt wurde, weil ich ohne Wasser in der Wanne lag, spürte ich mich wieder und stand auf. Ich trocknete mich ab und schaute an meinem Körper hinunter. Ich ergriff mein Glied, zuerst mit dem Handtuch, dann mit der bloßen Hand, und fing, während ich so stand, zu onanieren an. Es dauerte sehr lange, und manchmal machte ich die Augen auf und schaute zu dem Milchglasfenster des Badezimmers hinüber, auf dem sich die Schatten der Birkenblätter auf und ab bewegten. Als der Samen endlich herauskam, knickte ich in den Knien ein. Dann wusch ich mich, duschte die Badewanne sauber und zog mich an.

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