Donnerstag, 18. April 2013

Bomben, Zivilisten, Terroristen

Eigentlich wollte ich gleich mit Gartenarbeit beginnen. So ist es vorgesehen. Aber dann lese ich beim Frühstück in der heutigen ZEIT auf der Seite 2, in der Rubrik 'Worte der Woche', einen Satz von Barack Obama, US-Präsident:

"Immer wenn unschuldige Zivilisten zum Ziel von Bomben werden, ist das Terrorismus."

Ich war verwirrt. Denn ich dachte, obwohl ich natürlich die Nachrichten in der vergangenen Tagen gelesen, gehört, gesehen habe, dass es um diese Dinger geht, die aus Flugzeugen abgeworfen werden. Es ist ein semantisches Problem: Die explodierenden Schnellkochtöpfe von Boston, so schrecklich die Folgen für die Opfer waren -- als richtige Bomben habe ich sie nicht gesehen.

Ich habe also, als ich 'Bombe' gelesen habe, an richtige Sprengbomben gedacht. Angefangen von den kleineren, präzisen, die nur ein Haus in die Luft jagen. Ich habe mich an die sachlichen Mitteilungen der Schin-Bet-Chefs in der Dokumentation von Dror Moreh erinnert, die sagten, politisch sei da nur eine Bombe genehmigt worden, von der klar war, dass sie lediglich ein Stockwerk, das obere, zerstören würde. Sie hätten für eine stärkere Bombe plädiert, durch die das ganze Haus in die Luft gejagt worden wäre. Aber das hätte die politische Führung mit Blick auf die Weltmeinung nicht genehmigt. Also sei im oberen Stockwerk eine Familie getötet worden; die Terroristen im Erdgeschoss aber seien entkommen. Das Handwerk des Kriegers, ganz sachlich kommentiert.

Dann aber war der Obama-Satz der Nukleus für eine grundsätzlich Überlegung, die am Ende hin zu einem alten Thema, der ethischen Bewertung des Tyrannenmords führt, und von da aus noch ein Bisschen weiter. Diese Überlegung geht so:

Die durch die Geschichte der Menschheit geprägte Sicht vom Krieg, in der Moderne und dann in der Gegenwart angekommen: Der Krieg ist schrecklich, aber halt unvermeidlich. Er wird, wenn es ein klassischer Krieg ist, nach gewissen Regeln geführt. Die Kriegserklärung, die kann schon mal wegfallen. Aber auf jeden Fall ist da eine politische Führung. Ihr untersteht das Militär, klassisch hierarchisiert, von der Generalität bis hin zu den einfachen Soldaten. Dazwischen die verschiedenen Ränge. Im Frieden liegt die Schnittstelle zwischen Politik und Militär beim Verteidigungsminister, im Krieg beim dem höchsten Machthaber oder -- Margaret Thatcher -- der höchsten Machthaberin der Exekutive. Das Militär ist das Schwert in der Hand der zivilen Regierung, manchmal auch einer Militärregierung oder einer mit weitreichenden Vollkachten ausgestatteten Kriegsregierung mit einem Kriegspremier. Eein Instrument ist das Militär allemal. Und Bomben sind ein Mittel der Kriegführung. Solange Bomben 'auf dem Schlachtfeld', das heute auch schon mal mitten in der Stadt liegen kann, Soldaten, heute auch schon: Soldatinnen tötet, ist das klassisch und in Ordnung. Dann gibt es noch die -- ethisch bedauerlichen -- sogenannten Kollateralschäden, wenn 'unschuldige Zivilisten' getötet werden. Eine Steigerung des leider unvermeidlich, wenn auch verwerflichen Kollateralschadens: wenn Kinder getötet werden. Es gibt sowieso viele Abstufungen. Wenn Kämpfer der Gegenseite gefangengenommen und gefoltert werden, um an Erkenntnisse über den Feind heranzukommen -- verwerflich, die Folter. Aber manchmal, ja nun ...

Soweit die selbstverstänldiche politische Auffassung, die auch Barack Obama teilen muss. Sonst könnte er gar nicht amerikanischer Präsident sein.

Jetzt bleibt die Frage: Wieso ist das so selbstverständlich? Es ist in sich ja vollkommen unlogisch. Zunächst mal ist die Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilisten -- die einen darf man umbringen, die anderen nicht -- eine seltsam vertrottelte Unterscheidung. Denn die Soldaten sind natürlich auch Menschen, und wenn sie die Uniform auszuziehen und zu ihren Familien gehen, wird das auch schnell klar. Dass man die Soldatinnen und Soldaten also mit Bomben oder sonstigen Mitteln der Kampfeskunst töten darf, die Zivilisten nicht, das ist schlichtweg eine historisch-bescheuerte Einteilung. 

Von der Seite des 'reinen Kampfes' her wäre logisch: Man beginnt mit dem Krieg oben in der Hierarchie: Zuerst der oberste Anführer, dann die oberste Riege der Politiker, zuvorderst die, die nach dem Tod des obersten Anführers in der Lagen wären, diesen zu ersetzen. Dann kommt die Generalität. Die privates, die gemeinen Soldaten, die, die man ja leichthin ersetzen kann, sind am unwichtigsten und kommen in der Tötungshierarchie ganz zum Schluss. Wenn überhaupt. Eigentlich kann man sie in Ruhe lassen. Denn ohne militärische Führer wandeln sich die Soldaten, vom Gemeinen bis hin zum, sagen wir: Chief Master Sergeant / Oberfeldwebel, rasch wieder in Zivilisten und schauen zu, dass sie nach Hause kommen.

Nun gibt es aber ein bemerkenswertes intellektuelles Abkommen zwischen den 'politisch Denkenden' aller Zeiten und aller Ideologien, und dieses Abkommen besagt, dass der Oberste Anführer erst mal Anführer ist und dass das Kriegsspiel ja nur funktionieren kann, wenn zuerst die einfachen Soldaten zusammen mit ihren unmittelbaren Vorgesetzten hingemetzelt werden. Die Stäbe kann man versuchen zu treffen, aber -- im Grunde genommen macht man das einfach nicht. Es wäre ja auch ineffzient. Denn die Führer und die Stäbe verbunkern sich so, dass an sie nicht heranzukommen ist. Es sei denn Berlin ist erobert und das Führerhauptquartier liegt schutzlos da, oder Saddam besiegt und in einem Erdloch.

Die Einzelheiten sind wie immer schwierig zu beurteilen. Darum die clear cases. Nein, eigentlich nur ein klarer Fall: Warum ist eigentlich, wenn wir einmal annehmen, dass 1942 den Briten klar war, dass Hitler komplett verrückt, grausam und für unermessliches Leid verantwortlich ist, niemand auf den naheliegen und in sich vollkommen logischen Gedanken gekommen: Dieser Krieg wird noch so viele Menschenleben und auch so viel Geld kosten, dass es auf jeden Fall vernünftiger ist, Hitler umzubringen. Wenn der weg ist, werden die Deutschen ganz schnell wieder so halbwegs vernünftig, wie sie es vor der Nazi-Zeit mal waren. Das mit dem Tyrannenmord geht so: England, die USA und die anderen Alliierten loben eine Prämie von 50 Millionen Dollar aus für die Gruppe, die Hitler tötet. Jeder, der das Know-how zu so etwas hat, darf sich melden und seinen Plan vorlegen. Man braucht Männer, die perfekt Deutsch können. Eine Fallschirmjäger-Ausbildung ist von Vorteil. Usw. Ein politisches Gremium, sagen wir: das englische Kriegskabinett entscheidet, welche Pläne die besten sind. Dann wird koordiniert, damit sich die besten drei Gruppen nicht in die Quere kommen und sich gegenseitig gefährden. 

Jetzt kommen vielleicht Experten und sagen, Hitler zu töten, sei vollkommen aussichtslos gewesen damals. They should know better! Geld spornt den Kampfgeist und die Erfindungsgabe ungemein an. Und Scharfschützengewehre tragen ihre Geschosse weit! 

Warum also nicht so? Weil historisch der Krieg mit seinen so sehr unsprünglichen Regeln wie ein Schachspiel in den Köpfen der Menschen tief verankert ist. Erst werden die Bauern geopfert, dann die Leichtfiguren bis hin zum Generalmajor. Dann erst die Türme, die Oberste Generalität. Die Dame, the Queen, hat so viel Macht, dass man sie möglichst aufspart bis zu Schluss. Gewonnen ist das Kriegsspiel erst, wenn der König nicht mehr agieren kann. Bemerkenswerterweise wird der König auch nicht 'geschlagen', sondern schachmatt gesetzt. Wenn im Krieg Anführer gefangen werden, dann sind die per definitionem keine Anführer mehr. Was dann kommt -- kommt drauf an. Hitler, Saddam, Gaddafi. Es mangelt nicht an Beispiel-Figuren.

Barack Obama, US-Präsident, kennt das, weiß das alles. Er hätte, wie schon gesagt, keine Chance als oberster US-Politiker, wenn er nicht nach diesen Regeln spielte. Aber er könnte -- was wäre dagegen zu sagen -- eine Differenzierung in den Sprachgebrauch bringen und die explodierenden Schnellkochtöpfe von den echten Terroristen-Bomben und den Fliegerbomben unterscheiden. Und wer weiß, vielleicht könnte er dann auch noch einen Think-Tank gründen, der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob denn die Unterscheidung von Zivilisten und 'Soldaten als Kriegsmaterial' nicht doch aus vor-modernen Zeiten stammt und ob man nicht doch in naher Zukunft eine Mini-Drohne entwickeln könnte, die den Anführer des Feindes in einem präzisen, einem 'chirurgischen' Angriff tötet. Was dann käme -- der Think-tank würde es genau durchspielen --, wäre eine völlig neue Art von Wettrüsten.