Dienstag, 27. November 2018

Romananfänge: Der Projektkünstler

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Jonas M. Koslowski war ein -- das Adjektiv ist wahrhaftig angebracht -- begnadeter Mann. Ja, so muss man sagen. Koslowski verstand es, aus dem Chaos seines Alltags Kunst zu machen. Mehr als das: Er verstand es schon in jungen Jahren, sein gewöhnliches häusliches Chaos als sein Markenzeichen, als seinen ureigensten Stil in die Trade-Mark-Bücher des Kunstmarkts einzutragen. Er war, sieht man es so, als junger, unbekannter Künstler mit sich zufrieden, weil er etwas hatte, in dem sich sein Ich überlieferte. Er war ein wahrer, ein richtiger Künstler, denn er hatte seinen eigenen Stil gefunden. Wenig später wurden aus dieser einfachen Uridee jährliche Einnahmen, von denen es sich gut leben ließ. Und wieder 10 Jahre später war Koslowski reich, denn seine Chaos-Werke verkauften sich auf wundersame Weise überall in der Welt und ihr Verkaufspreis stieg von Jahr zu Jahr. Koslowski hatte da schon zwei Angestellte, die sein Haus und sein Atelier perfekt in Ordnung hielten. Denn der Chaos-Künstler JMK, wie er von seiner Galerie in New York genannt wurde, er hatte eine tiefe Sehnsucht nach Reinlichkeit und Ordentlichkeit in sich, eine Sehnsucht, die in einem sehr merkwürdigen Kontrast zu seinem Werk stand. 

So war es also gekommen, dass zwei große Zimmer des Hauses, das Koslowski alleine bewohnte, vorsätzlich in einem chaotischen Zustand gehalten wurden. Hier müssen wir einfügen: Koslowskis Atelierhaus, das als Wohnhaus vollständig ausgestattet war, war das eine. In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich ein zweites Haus, in dem des Künstlers wirklich sehr schöne Frau mit den drei gemeinsamen Kindern lebte. Ob er am Abend die paar Schritte nach Hause ging oder in dem Atelierhaus übernachtete, hing ganz von seiner Laune ab. Von der Laune, die seinen schöpferischen Impuls zu nennen, er sich angewöhnt hatte.

Zurück zu dem überaus ordentlich angelegten Atelierhaus mit den Chaos-Zimmern. Ein oder zwei Mal im Monat ging der Künstler Jonas M. Koslowski in diese beiden Zimmer. Er hatte dann stets seine teure Kamera dabei, und er machte einige Aufnahmen, aus denen er, wenn die Räume wieder verschlossen waren, in einem sich hinziehenden Prozess eine einzige Aufnahme auswählte. Dieses Foto wurde zur Grundlage seines nächsten Werks, eines Drucks in kleiner Auflage oder eines mit Acrylfarben gemalten Bildes. Es gab da Zwischenschritte, die Koslowski, als dies endlich möglich war, mit dem Computer erledigte. Was früher zwei, drei Tage gedauert hatte, ließ sich jetzt in einer Stunde ruhigen Arbeitens erledigen: Das ausgewählte Foto wurde in zwei, drei, manchmal aber auch in sieben Farben zerlegt. Es waren nie mehr als sieben Farben, die Koslowski verwendete. Bei den Drucken entstand eine Vorlage in der Originalgröße, und den Rest erledigte eine spezialisierte Druckerei in Frankfurt, seine Hausmanufaktur, wie Koslowski diese Druckerei nannte. Wenn er in seinem Atelier malte verwendete er normale Acrylfarben, die einer seiner Gehilfen ihm von Zeit zu Zeit in einem Baumarkt kaufte. Es stellte sich später heraus, dass diese Baumarktfarben den teuren Künstler-Acrylfarben, was die Farbechtheit anging, in jeder Hinsicht überlegen waren. Die gemalten Bilder versah Koslowski, das sollte man noch erwähnen, mit einem Rahmen, denn er war der Auffassung, dass Bildinhalt und Rahmen eine untrennbare Einheit bildeten, sodass man es nicht dem schlechten Geschmack eines Kunden überlassen durfte, einen vielleicht vollkommen unpassenden Rahmen um ein Bild zu spannen.

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Wer wäre jetzt neugierig, die Geschichte von Jonas M. Koslowski ganz zu lesen? Wahrscheinlich niemand. So ist also diese Skizze vollkommen ausreichend. Denn es gilt ja: Die skizzierten, die unvollendeten Romane sind es, die dem Leben den Herzschlag vorgeben. 

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