Die Empfehlung des Tages: "Wo die Streitwagen fuhren", von Johan Schloemann, SZ, heute, S. 11.
[...] Und spätestens seitdem Franz Bopp, der erste Professor des Faches in Berlin, im Jahr 1816 in seiner Studie über das Konjugationssystem die Hypothese der gemeinsamen Quelle [der indogermanischen Sprachen] unausweichlich gemacht hat - und damit die vergleichende Sprachforschung zu einem Gründungsthema der modernen Geisteswissenschaften-, ist die Indogermanistik das vielleicht vernünftigste und zugleich verrückteste aller wissenschaftlichen Fächer.
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Die Spekulationen, die historisch weiter hinter den linguistischen Befund zurückgehen, leben natürlich immer auch von dem elektrisierenden Versprechen, näher an den menschlichen Ursprung überhaupt heranzurücken - auch wenn die Forscher dies nicht beabsichtigen und zudem der Ursprung aller Sprachen, nicht bloß der indogermanischen, ja noch einmal mehrere zehntausend oder auch Millionen Jahre zurückliegt. Man gerät da leicht in spekulative Sphären, die man heute mit viel gut gemeinter Forscherphantasie aufsucht, die aber früher auch schon zu allerlei ideologischem Unsinn missbraucht wurden, etwa in der Frage der 'Arier'. Das heißt nicht, dass die faszinierende Frage nach der Ausgangsregion der indogermanischen Sprachen nicht zu debattieren wäre. Doch die oft naiv erscheinende Gleichsetzung von sprachlichem, archäologischem oder auch genetischem Material, welche den oft unkontrollierbaren Sprachwandel zu wenig berücksichtigt, sollte nur mit großer Vorsicht angewendet werden - in der Wissenschaft, und erst recht in der breiteren Öffentlichkeit.