Samstag, 21. Mai 2011

Die Amundawa-Kultur und die Nicht-Zeit

Frage keiner, warum ich am Samstagmorgen vor 8 Uhr mit einem kleinem Auto in München herumkurve und dabei die erste CD von Prechts "Die Kunst, kein Egoist zu sein" höre. Jedenfalls kommt da, auf dieser CD, alsbald der schöne Gedanke, es ginge bei Hobbes nicht um Einzelmenschen, "Sie und mich", sondern den Menschen als solchen. So weit, so gut.

Wieder zuhause lese ich im Feuilleton der SZ Nr. 117, S. 20, einen kleinen Artikel von Christian Weber, "Leben im Jetzt". Und weiter:

"Amazonas-Kultur kommt ohne jede Vorstellung von Zeit aus. | Glaubt man den Aufzeichnungen, so hatte die Amundawa-Kultur zum ersten Mal im Jahr 1986 Kontakt mit der Außenwelt. Die derzeit nur noch 150 Mitglieder des indigenen Volkes leben in einer abgeschiedenen Ecke des Amazonas-Regenwaldes im brasilianischen Bundesstaat Rondônia. Die Amundawa selbst hingegen wissen nur noch, dass dieser Erstkontakt irgendwann in der Vergangenheit stattgefunden hat. Benennen können sie diese jedoch nicht, denn ihnen fehlt ein abstraktes Konzept von Zeit. So lautet der Befund einer Forschergruppe um den Sprachpsychologen Chris Sinha von der Universität Portsmouth, der jetzt vom Fachmagazin Language and Cognition vorab online veröffentlicht wurde. „Die Amundawa können so wie alle Menschen über Ereignisse und die Abfolge von Ereignissen sprechen“, sagte Sinha dem britischen Rundfunk BBC. „Wir finden bei ihnen jedoch nicht die Idee von der Zeit als etwas, das unabhängig von den Ereignissen existiert.“ So fehlt in der Amundawa-Sprache ein eigenes Wort für „Zeit“; ihre Sprecher können keine Zeiteinheiten wie „Woche“, „Monat“ oder „Jahr“ benennen. Logischerweise können sie auch nicht ihr Alter in Lebensjahren angeben. Stattdessen ändern sie ihre Namen mehrmals im Leben je nach dem erreichten familiären und sozialen Status."

So, und nun -- was ist 'der Mensch'? Eine immer sinnlose Verallgemeinerung, ein Schema, das keinem Inhalt zugeordnet werden kann. Ein alter Fetisch: Weil wir ein Wort haben -- andere sagen etwas großspurig: 'weil wir einen Begriff, ein Konzpept haben', deshalb muss es die Abstraktion DER MENSCH schon geben! Muss es? Fangen wir von der Gegenseite her an: Was hat 'der Mensch' gemeinsam? Fünf Finger? Ach wo! Was also macht DEN MENSCHEN denn aus? Eine kulturabhängige, vom jeweiligen Ethischen der Zeit durchdrungene Fiktionalisierung? Der Mensch, wenn Sklave, ist eine Sache, sagt die eine Zeit. Der Körper, wenn stark geistig behindert, ist kein Mensch, lebensunwertes Leben, sagen die Nazis. Ein Baby ist eine Larve, noch kein Mensch, sagt Midas Dekkers, verbunden mit der Frage, ob man Kinder wie Menschen behandeln soll.

Von da an: Bitte selbst weiterdenken!

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Über die Schreibung des Stammesnamens Amondawa / Amundawa ist man sich nicht ganz einig. Vielleicht haben die deutschen Zeitungen ja alle von der SZ abgeschrieben und die hatte einen Tippfehler drin.


Munday, May 22nd 2011 - 22:59 UTC  | Amazon tribe first contacted in 1986 has no abstract concept of time | ... say researchers. The Amondawa lacks the linguistic structures that relate time and space - as in our idea of, for example, “working through the night”. | | The study, in Language and Cognition, shows that while the Amondawa recognise events occurring in time, it does not exist as a separate concept. The idea is a controversial one, and further study will bear out if it is also true among other Amazon languages. | The Amondawa were first contacted by the outside world in 1986, and now researchers from the University of Portsmouth and the Federal University of Rondonia in Brazil have begun to analyse the idea of time as it appears in Amondawa language. | | Professor Chris Sinha of the University of Portsmouth

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