Samstag, 13. Juli 2019

Damien Hirst

Notizbuch

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74 Millionen Euro soll das Kunstwerk kosten. Mindestens. Der englische Künstler Damien Hirst hat einen Totenschädel mit Diamanten überzogen. Das kostbare Objekt und andere bizarre Werke werden jetzt in London ausgestellt. Diamonds are a boys best friend!

Der Raum ist schwarz, lichtlos in seiner ersten Wirkung. Man betritt ihn jeweils in einer Gruppe von zehn Besuchern wie eine Kaaba des Kunst-Mekkas London. Vorsicht, nicht schieben. Leise, bitte. Einige der Besucher, schlurfenden Schrittes, scheinen zu stolpern, stoßen ineinander. Es dauert eine Weile, ehe das Auge sich gewöhnt hat an die Lichtquelle im Zentrum, diesen Gegenstand in seinem Glasgehäuse, auf den ein Strahlenbündel von oben nieder scheint, ihn überirdisch verklärend.

Wir sind angekommen. Wir starren. Der Mund bleibt offen. Wir sind verzückt. Vor uns leuchtet das strahlendste und zugleich teuerste Objekt, das die modernen Kunst je erschaffen hat: ein mit 8601 Diamanten übersäter Schädel, der Platinabguss eines solchen, dernier cri von Damien Hirst, dem einstigen jungen Wilden der YBA (Young British Artists). Kein Wilder mehr, vielmehr gemildert vom Millionen-Gewicht seines Reichtums, hat Hirst mit diesem 1106.18 Karat-Schädel das Non-Plus-Ultra des Manierismus erklommen.

Nur die Zähne sind original
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Hirst wehrt ab, sagt schlicht: „Ich habe mir einfach überlegt, was kann ich maximal erfinden, um den Sieg über den Tod zu markieren. Da dachte ich mir: Du musst eine perfekten Schädel mit perfekten Diamanten überziehen. Auf mich wirkt der Schädel einfach zart, fast weich. Ich würde mir wünschen, dass der Betrachter ein wenig Hoffnung in sich aufkeimen, sich erhoben fühlt. Wir brauchen in dieser Welt schöne Objekte, die uns Hoffnung geben.“ Das hört sich wohl doch eine Spur zu vordergründig an.

Drei Käufer wollen den Schädel
Die Gesamtschau neuer Werke des Künstlers ist an zwei Londoner Adressen zu sehen, der White Cube Gallery im East End und im Mason’s Yard in St. James’s. Titel: „Beyond Belief“, Kaum zu glauben. Die Hoffung, besagtes Objekt zu kaufen, können sich freilich nur wenige machen. Ja, kaufen. Es ist eine diskrete Verkaufsausstellung, wobei der diamantene Schädel – „For the Love of God“, so sein Titel – den Star des Angebots abgibt. Preis: 50 Millionen Pfund, ca. 74 Millionen Euro. Hirst und seine Berater haben bewusst hochgestapelt: Es soll niemand auf den Gedanken kommen, schnell einen Schnitt zu machen, das Werk profitabel weiter verkaufen. Drei Interessenten haben sich dennoch dem Vernehmen nach bereits gemeldet.

„For the Love Of God“ – um der Liebe Gottes willen: wo führt uns dieser Künstler hin? Zunächst zu einigen erstaunlichen Fakten. An die 13 Millionen Pfund haben Hirst und seine Scouts in die Anschaffung der Diamanten investieren müssen. Er ließ den Markt nach den edelsten und lupenreinsten Exemplaren durchkämmen – sobald das ruchbar wurde, stiegen im internationalen Edelsteinhandel die Preise.

Prunkstück des Schädel-Unikats ist das Display auf der Stirn: 14 größere Steine umlagern das atemberaubende tränenförmige Herz in der Mitte, einen 52.50 Karat-Solisten aus Angola, schon jetzt der „Schädel Diamant“ genannt. Würde man ihm nicht hier, im Ambiente von Kunst, begegnen, könnte er leicht als leuchtender Blickfang einer internationalen Juwelen-Börse durchgehen.

Nur der Thron für Kaiser Bokassa war teurer
Geschmückt wurde seine Majestät, der Totenkopfabguss eines etwa 35 Jahre alten jungen Georgiers aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, von dem bekannten Juwelenhändlern Bentley & Skinner in der Bond Street, eine alte Hoflieferanten-Adresse. Seit Königin Viktorias Zeiten hat man dort nicht mehr einen solchen Auftrag erhalten. Charles Dupplin, Chairman der Kunstversicherungsagentur Hiscox, vermutet, dass außer dem Thron aus Anlass der Krönungsfeierlichkeiten von Kaiser Bokassa aus Zentralafrika, vor einigen Jahren, kein zeitgenössisches handgefertigtes Objekt diesen Schädel an Wert erreicht.

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Wie immer spielt Hirst entlang der Grenze des Unsäglichen, Tod und Verfall werden bei ihm oft zum thematischen l’art pour l’art. Dazu gehören auch die leinwandgroßen Blutorgien aus dem Zyklus „Biopsy Paintings“, Darstellungen von Krebszellen, auf die wahllos Glasscherben und zersplitterte Skalpells gestreut wurden, auch Spuren von Haaren – Details aus dem Operationssaal, wenn das Leben seiner Endstufe entgegen eilt.

Hirst beschäftigt hundert Mitarbeiter
Provokation? Unser Blick ist ihr längst entwachsen und registriert eher missbilligend, wie sich Genrehaftes bei einem Künstler anmeldet, der sich partout nicht auf seine eigenen Ikonografik, die traurigen toten Tiere, festnageln lassen möchte.

Diese Furcht ist überflüssig, wie Hirst diesmal mit einem Ausflug in den gemalten Photorealismus überzeugend demonstriert. Da wird die Geburt seines dritten Sohnes Cyrus im September 2005, durch Kaiserschnitt, festgehalten -siebzehn das Leben feiernde Sequenzen („Fact Paintings“), an denen ein Dutzend Assistenten, die der Künstler dafür beschäftigte, ihre veristische Malkunst erproben durften.

„Der Künstler zeigt sich in der Konzeption“, verteidigt Hirst diese aus der Renaissance ererbte Werkstattpraxis, „die Ausführung überlasse ich anderen.“ An die hundert Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen Damien Hirst inzwischen, für alle Sparten der Fertigung. Big Business. „Beyond Belief“ – kaum zu glauben, aber wahr.

Dafür hat sich dieser Mann auf der Mitte seines Lebens mit dem Edelstein bewehrten Totenkopf ein Denkmal manieristischer Schönheit gesetzt, das alle anderen Exponate dieser Ausstellung überstrahlt. „For the Love of God“ – der Andrang ist derart groß, dass die Besucher sich auf der Website der Gallerie ihre Zeit zur Anbetung aussuchen müssen. Ist es auch nicht der Stern von Bethlehelm, so doch ein strahlendes Gestirn am Firmament der küstlerischen Moderne.

London, The White Cube, Hoxton Square und Mason's Yard, bis zum 7. Juli. (welt.de)

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