Heute über die Süddeutsche kennengelernt: Philipp Ruch. Ein Artikel auf der ersten Seite des Feuilletons (S. 11): Der Künstler kennt den Weg | Aber wer will ihn gehen? Philipp Ruch vom „Zentrum für Politische Schönheit“ hat ein unschönes Manifest gegen Nihilismus und für einen „aggressiven Humanismus“ verfasst || Von Jens Bisky.
Ein kleiner Auszug.
"Philipp Ruch ist das bekannteste der kohlegeschwärzten Gesichter des 'Zentrums für politische Schönheit'. Es hat den Skandal eines komfortablen Lebens inmitten einer Welt des Krieges, des Abschlachtens und Sterbens zum Sujet vieler Aktionen gemacht. [...] Offen blieb die Frage, warum ein politisches Thema der Aktionskunst bedarf, worin also der Gewinn liegt, nicht politisch wie Parteien oder Amnesty International, sondern irgendwie künstlerisch zu arbeiten. | Doch der Aktionskünstler schätzt es nicht, wenn sein Material, die Gesellschaft, solche Fragen stellt. Philipp Ruch bietet ein Goethe-Zitat auf – Zergliederung ertöte die Schönheit –, um Kunst- und Theaterkritikern, die selbstredend 'verständnislos' sind, das Handwerk zu legen. So wenig er in seinem Manifest über die Aktionen des Zentrums berichtet, so aufdringlich inszeniert er die Selbstimmunisierung gegen Kritik. Ihm geht es um das Große und das Schöne. Da fühlt sich wie ein Kleingeist, wer einwendet, dass Kunst mit Gesinnungsgirlanden zu schlicht ist, um sich lange damit zu befassen, und Gesinnung mit Kunstsiegel nichts hervorzubringen vermag als erpresstes Einverständnis. Nun, manchmal ist man gern Kleingeist."
Ich sehe mich ein wenig um. Die
Wikipedia fasst einen Artikel aus der ZEIT zusammen, und meint, ebenfalls, wie die SZ, auf das neueste Buch
Wenn nicht wir, wer dann? bezogen, "er hätte starke Geltungssehnsucht und wolle mit aller Gewalt in die Geschichte eingehen".
Ja, nun -- das wollen viele. Also 'in die Geschichte eingehen'. Warum denn auch nicht? Der Mangel bei Ruch liegt offenbar darin, dass er dabei extrem dick aufträgt und, was seine Verlautbarungen angeht, nicht gerade über ein großes Stilgefühl verfügt.
"Wenn Ruch von Medien spricht, dann von den 'Hauptnachrichten' im Fernsehen (in denen mehr Opfer gezeigt werden sollen), und sein Beispiel für etwas, das uns 'täglich begegnet', aber doch nicht recht verstanden wird, ist allen Ernstes, 'wie Gas eine Laterne zum Leuchten bringt'. | Genauso altmodisch ist Ruchs Vokabular. Mag man es noch für ein reizvolles Experiment halten, Begriffe wie Stolz und Ehre neu auf ihre Verwendbarkeit zu prüfen, so wundert man sich doch über Wörter wie Völker oder Abendland, zumal Letzteres offenbar nicht in Abgrenzung zu Pegida reklamiert wird. Eine Vorliebe hat Ruch ferner für martialische Metaphern. Immerzu detonieren Bomben, wird ausradiert und zum Einsturz gebracht. Das ist ermüdend und erschreckend zugleich, und mochte man die schneidige Sprache, die auch die Aktionen des ZPS dominiert, bisher für künstlerische Übertreibung halten, so ist spätestens jetzt klar, wie wörtlich alles gemeint ist. Philipp Ruchs Text ist kein dadaistisches Pamphlet und keine literarische Fantasie. Er ist das Manifest von einem, der mit aller Gewalt in die Geschichte eingehen will."
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Nachtrag (04.12.2015): Wenigstens diese Frage von Jens Bisky kann man vielleicht locker erläutern:
"... warum ein politisches Thema der Aktionskunst bedarf, worin also der Gewinn liegt, nicht politisch wie Parteien oder Amnesty International, sondern irgendwie künstlerisch zu arbeiten."
Antwort als rhetorische Gegenfrage: Hätte irgend jemand über diese Anliegen (und die Person Philipp Ruch) in einer großen Zeitung geschrieben, wenn der Herr Ruch Mitglied bei Amnesty geworden wäre?
Nein! Nun denn, Marketing ist vielleicht nicht alles, aber doch sehr viel! Und Kunst und Politik sind, in einer modernen, gar einer postmodernen Welt: MARKETING.
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Nachtrag 2 (04.12.2015):
"... Tatsächlich hakt die 'Schönheit' aber an ziemlich vielen Stellen. Zum einen rein argumentativ: Ruch bedient sich zwar ausgiebig an philosophischer Ideengeschichte und wirft auch mal Absätze zu Globalisierung (gut, gab es ja auch schon in der Antike) und Kapitalismus (nicht Schuld an der Misere) ein. Er behauptet aber vor allem, statt zu erklären." (Eva Thöne: Politischer Aktivismus: Die Diktatur der Schönheit." SPIEGEL Online)
Je nun, aber das ist ja nun eine Vorgehensweise, die jeder aus politischen Kommentaren der Zeitungen und des Fernsehens kennt: Es wird unterstellt, dass es sich so und so verhält. Es wird behauptet. Und gehofft, dass der Leser sich die Behauptungen und Unterstellungen, die schön und laut vorgetragen werden, zueigen macht. So funktioniert es doch, das Geschäft der Meinungsbeeinflussung. Allüberall. Warum sollte R. da eine Ausnahme machen und auf Argumente setzen? Auf Argumente der Form nach, die am Ende ja doch nur wieder auf Behauptungen und Unterstellungen aufruhen.