Mittwoch, 13. April 2011

Wer oder was ist 'das Volk'?

Diese Frage wird man gegenwärtig klar stellen und klar beantworten müssen, wenn Vernunft in politische Diskussionen einkehren soll. Drei Zitate aus einem Artikel in der heutigen SZ:

Nach Maßgabe der Landesverfassung ist Stuttgart 21 in einer Volksabstimmung nur aufzuhalten, wenn ein Drittel der Stimm- berechtigten nein sagt. Das wären mehr als 2,5 Millionen Menschen. // 'Dieses Quorum ist nicht zu schaffen', sagt ein Spitzengrüner. Aber warum hat sich die Partei dann die Volksabstimmung überhaupt auf die Wahlplakate geschrieben? Für die SPD, heißt es. Und weil die Werbeagentur fand, das klinge so toll nach Bürgernähe.

Das Volk solle entscheiden. Es ist einer dieser Kompromisse, die man besser nie testet.

Bei einer Gerichtsverhandlung gegen einen Demonstranten waren vor ein paar Wochen viele Sympathisanten im Saal. Der Gerichtsdiener sagte, man möge sich erheben für das hohe Gericht. 'So weit kommt"s noch', sagte ein Demonstrant. Als die Richterin das Urteil im Namen des Volkes verkündete, sagte der Angeklagte, sie dürfe gern urteilen, aber sicher nicht im Namen des Volkes.

Alle Zitate: Vorsicht, Sackbahnhof. Die alte Regierung in Baden-Württemberg ist weg - die Wut der Stuttgart-21-Gegner aber ist noch da. [...] Von Roman Deininger. Süddeutsche Zeitung Nr.86, Mittwoch, den 13. April 2011, Seite 3. 

Ich wusste bis heute nicht, dass es diese Ein-Drittel-Regelung in der BW-Verfassung gibt. Ich bin immer davon ausgegangen, dass Mehrheit der Abstimmenden für Ja oder Nein das Ausschlaggebende ist. Kommt die Verfassungsregelung nicht aus einer Zeit, in der man dem Volk, das Adolf Hitler zugejubelt hatte, zutiefst misstraute und also hohe Hürden aufbaute? Die Herren Honoratioren werden's schon richten! Aber Verfassungsänderungen sind immer extrem schwierig, dass wissen wir. Die gewählten Vertreter behandeln die Verfassung ja wie eine Geheime Offenbarung, an der man am besten nicht herumbastelt. Da sind alte, geheime Kräfte verborgen, denken die Abgeordneten. Kräfte, denen man sich ohne extreme Not nicht in den Weg stellt.

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Wer ist denn nun das Volk? Man muss sich langsam annähern, mit Assoziationen und Erinnerungen. Drei Assoziationen schon mal, für den Anfang:
  • "Wir sind das Volk!" (DDR-Protest am Ende)
  • "Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?" (Brecht)
  • "Das Volk besteht aus der Ansammlung derer, die meiner Meinung sind!" (Jener Stuttgart-21-Gegner, geschlussfolgert und von mir unterstellt. Siehe oben.)
So, und jetzt können wir anfangen nachzudenken.

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Fortsetzung der Überlegungen: Wenn dann heute mittag die Dis- kussion im Rundfunk entbrennt, wo und ob überhaupt denn Windräder aufgebaut werden dürfen, dann sollte die Frage an alle, Experten und Betroffene, am Ende lauten:

"Wie würden Sie denn die Energieversorgung im Jahr 2020 gestalten? Wenn Sie König von Deutschland wären? Ein absoluter König, so à la Ludwig XIV."

Denn Kritisieren und Nicht-Wollen ist das eine. Eine Sache, die, so oder so, gestaltet werden muss, auch tatsächlich zu gestalten, die andere. Und leben kann man politisch nur mit "der anderen Sache".

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